Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Zulassungsentziehung. Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Facharzt für Humangenetik, der in vier aufeinanderfolgenden Quartalen (hier: Quartale IV/19 bis III/20) nach Zulassung lediglich ein bis zehn Fälle abrechnet und in den drei Folgequartalen keinen einzigen Fall, füllt von Anfang an seinen halben Versorgungsauftrag nicht aus, weshalb ihm die Zulassung wegen Nichtausübens der vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen werden kann. Dabei ist es unerheblich, ob der Arzt nie beabsichtigt hat, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen, oder lediglich äußere Umstände wie die Coronakrise einen Praxisaufbau verhindert haben.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entziehung der Zulassung des Klägers wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit.
Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ließ den Kläger als Facharzt für Humangenetik nach Entsperrung des Planungsbereichs für einen vollen Vertragsarztsitz mit Beschluss vom 24.09.2019 zur vertragsärztlichen Tätigkeit für den Vertragsarztsitz B-Straße, B-Stadt, mit Wirkung zum 01.10.2019, beschränkt auf die Hälfte des Versorgungsauftrages nach § 19a Abs. 1 Ärzte-ZV, zu. Der Kläger erklärte mit Datum vom 28.10.2020 den Verzicht auf seine Zulassung mit Wirkung zum 01.02.2021 unter dem Vorbehalt einer Nachfolgeregelung und beantragte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Die Praxisübernahme sollte durch die MVZ C. GmbH erfolgen. Der Zulassungsausschuss lehnte mit Beschluss vom 26.01.2021, ausgefertigt am 15.02.2021, den Antrag wegen eines fehlendem Praxissubstrats als unzulässig ab. Die hiergegen am 15.03.2021 erhobene Klage wies die Kammer mit Gerichtsbescheid vom 08.10.2021 - S 12 KA 77/21 - ab. Hiergegen ist ein Berufungsverfahren zum Az.: L 4 KA 62/21 beim LSG Hessen anhängig.
Der Zulassungsausschuss teilte dem Kläger mit Schreiben vom 29.01.2021 mit, die im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens durchgeführte Versorgungsanalyse habe deutlich unterhalb des Fachgruppendurchschnitts liegende Fallzahlen ergeben. Deshalb sei die Entziehung der Zulassung von Amts wegen eingeleitet worden.
Der Kläger trug mit Schreiben vom 02.02.2021 vor, in B-Stadt (und ganz F-hessen) gebe es außer seiner Praxis weder in Niederlassung noch an Kliniken einen Facharzt für Humangenetik. Die nächste humangenetische Praxis/Beratungsstelle finde sich in den weit entfernten Städten D., E. oder G. Der Versorgungsanalyse der Beigeladenen zu 1) lägen falsche Zahlen zu Grunde. In den Quartalen I bis III/20 habe er insgesamt zehn Fälle, einen Fall und neun Fälle versorgt. Wegen der Coronapandemie verlaufe der Aufbau der Praxis schleppend. Er habe bereits mit einem potentiellen Nachfolger einen Vertrag zur Übernahme abgeschlossen.
Der Zulassungsausschuss entzog mit Beschluss vom 16.03.2021 die Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Zur Begründung führte er aus, der Kläger rechne seit dem Quartal IV/19 nur in einem äußerst geringen Umfang ab, so im Quartal IV/19 drei Fälle, in den Quartalen I und II/19 keine Fälle und im Quartal III/20 einen Fall. Die Durchschnittfallzahlen der Humangenetiker betrügen 213 bis 244 Fälle. Das Abrechnungsvolumen des Klägers liege lediglich bei 0 bis 2,82 % der Fachgruppe. Eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit sei nicht zu erwarten, weshalb ein Ruhen als milderes Mittel nicht in Betracht komme.
Hiergegen legte der Kläger am 23.04.2021 Widerspruch ein. Er trug unter teilweiser Wiederholung seines bisherigen Vorbringens vor, im Quartal I/20 habe er ausweislich des Honorarbescheids zehn Fälle versorgt, im Quartal II/20 einen Fall, im Quartal III/20 neun Fälle. Er habe im Quartal II/20 36 Videosprechstunden durchgeführt, im Quartal III/20 121 Videosprechstunden sowie im Quartal IV/20 106 Videosprechstunden. Diese seien wegen der zu geringen Vergütung und dem zu hohen administrativen Aufwand noch nicht abgerechnet worden. Im Übrigen sei im KV-Bereich nunmehr ein halber humangenetischer Sitz ausgeschrieben worden. Deshalb sei der Bedarf für den KV-Bereich nachgewiesen. Der Entzug der Zulassung schränke ihn in seiner verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit in unzulässig harter Weise ein. Es wäre auch nicht das mildeste Mittel, nachdem auch Viertelzulassungen entzogen werden könnten.
Der Beklagte wies mit Beschluss vom 02.06.2021, ausgefertigt am 22.07.2021, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, von der Beigeladenen zu 1) seien ihm folgende Zahlen mitgeteilt worden:
|
Quartal |
Fallzahlen Kläger |
Hessischer Fachgruppendurchschnitt |
IV/19 |
3 |
213 |
I/20 |
10 |
232 |
II/20 |
1 |
245 |
III/20 |
1 |
231 |
IV/20 |
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