Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Nachbesetzungsverfahren. Praxisnachfolger. Zulassung fünfeinhalb Monate nach Tot des vormaligen Praxisinhabers. Vorliegen des erforderlichen Praxissubstrats. behindertengerechter Zugang zur Praxis keine Zulassungsvoraussetzung sondern Abwägungskriterium. Bevorzugung eines Nachfolgebewerbers. Auswahlermessen der Zulassungsgremien
Leitsatz (amtlich)
1. Lässt der Zulassungsausschuss einen Praxisnachfolger etwa fünfeinhalb Monate nach dem Tod des vormaligen Inhabers zu, so kann aufgrund dieser kurzen Zeitspanne nicht vom Fehlen eines Praxissubstrats ausgegangen werden.
2. Ein behindertengerechter Zugang zu einer Praxis ist keine Zulassungsvoraussetzung, sondern nur ein Abwägungskriterium bei der Auswahl eines Praxisnachfolgers im Rahmen der Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen.
3. Die Bevorzugung eines Nachfolgebewerbers, der einen Weiterbetrieb der Praxis am bisherigen Ort und im bisherigen Umfang einschließlich des bislang beschäftigten Personals gewährleistet, ist nicht zu beanstanden.
Orientierungssatz
1. Der einzelne Bewerber hat nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine Gewichtung der Auswahlkriterien untereinander sieht das Gesetz nicht vor. Es ist Aufgabe der Zulassungsgremien, die Kriterien im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen.
2. Zu Leitsatz 1 vgl BSG vom 23.3.2016 - B 6 KA 9/15 R = BSGE 121, 76 = SozR 4-2500 § 103 Nr 18, RdNr 25f.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Beigeladenen zu 8) zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen einer aktiven Konkurrentenklage um die Praxisnachfolge in den Vertragsarztsitz des Facharztes für Innere Medizin Dr. med. E. in A-Stadt (Planungsbereich ...-Kreis).
Die Klägerin ist seit Juli 1998 approbierte Ärztin und seit September 2003 Fachärztin für Innere Medizin. Seit Dezember 2006 ist sie berechtigt, die Schwerpunktbezeichnung Kardiologie zu führen. Von April bis Dezember 2010 war sie zur vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen einer Job-Sharing-Partnerschaft in Teilzeit in einer kardiologischen Berufsausübungsgemeinschaft tätig, von Januar 2011 bis Dezember 2013 war sie als angestellte Kardiologin in der kardiologischen Berufsausübungsgemeinschaft beschäftigt, seit 01.01.2014 ist sie als Fachärztin für Innere Medizin/Kardiologie mit einem hälftigen Versorgungauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxis in A-Stadt zugelassen und übt ihre Tätigkeit im Rahmen einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis aus.
Der Beigeladene zu 8) ist seit Mitte 2004 approbierter Arzt und erhielt im Januar 2011 die Anerkennung als Facharzt für Innere Medizin, im September 2013 die Anerkennung als Facharzt für Kardiologie. Seitdem arbeitet er als Oberarzt, bis Juni 2015 in den Reha-Kliniken I. I-Stadt und seit Juli 2015 im K. Krankenhaus K-Stadt.
Die Beigeladene zu 9) ist als Erbengemeinschaft die Rechtsnachfolgerin des 1941 geb. und 2017 verstorbenen Dr. med. E., Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie. Dieser war bis zu seinem Tod als Internist zur vertragsärztlichen fachlichen - Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Am 14.04.2017 wurde der Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens gestellt.
Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ließ mit Beschluss vom 12.09.2017 den Beigeladenen zu 8) als Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie für den Vertragsarztsitz A-Stadt, A-Straße, zur vertragsärztlichen Tätigkeit gem. § 103 Abs. 4 SGB V im Rahmen der Übernahme des hälftigen Versorgungsauftrags des verstorbenen Internisten - fachärztlich - Dr. med. H. E., A Stadt, A-Straße, mit Wirkung zum 01.10.2017 zu. Die Zulassung beschränkte er auf die Hälfte des Versorgungsauftrages nach § 19a Abs. 2 Ärzte-ZV. Den Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Beschränkung des Versorgungauftrages gem. § 19a Abs. 3 Ärzte-ZV zur Übernahme des hälftigen Versorgungsauftrags lehnte er ab. Zur Begründung führt er aus, die berufliche Eignung der Klägerin und des Beigeladenen zu 8) sei uneingeschränkt zu bejahen. Der Beigeladene zu 8) sei ausdrücklich als Wunschnachfolger von der Erbengemeinschaft benannt worden. Weiterhin wolle er die Praxis am bestehenden Praxisstandort fortführen. Die Räumlichkeiten blieben und auch die vorhandenen Patienten und Strukturen könnten dadurch mit übernommen bzw. weitergeführt werden. Demgegenüber würde der Vertragsarztsitz der Klägerin hin zu ihrem Praxisstandort verlegt werden. Zwar liege dieser in keiner großen Entfernung zum bisherigen Praxisstandort, gleichwohl solle damit die Praxis nicht in gleicher Weise fortgeführt werden, wie es durch den Beigeladenen zu 8) geschehe. Des Weiteren habe er berücksichtigt, dass die Klägerin ihre Tätigkeit über die bereits geleisteten 3,5 Tage hinaus nicht ausweiten möchte und es folglich zu kei...