Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung

 

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Bundesverfassungsgericht werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Verstößt der durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I 2018, 2394) hinzugefügte § 301 Abs. 2 S. 4 SGB V, gültig ab dem 01.01.2019, insoweit gegen den Gesetzesvorbehalt der Art. 20 Abs. 2 und 3, 87 Abs. 3 GG, als die in § 301 Abs. 2 S. 4 SGB V ermächtigte Behörde des DIMDI nur durch Ministerialerlass und nicht durch Parlamentsgesetz errichtet wurde?

2. Verstößt der durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I 2018, 2394) hinzugefügte § 301 Abs. 2 S. 4 SGB V, gültig ab dem 01.01.2019, insofern gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), als in § 301 Abs. 2 S. 4 SGB V das DIMDI zur rückwirkenden Klarstellung und damit ggf. auch Vernichtung materieller Rechtspositionen ermächtigt wird?

 

Gründe

A. Sachverhalt und Verfahrensstand

Die Parteien streiten über die Abrechnung einer neurologischen Komplexbehandlung.

Die Beklagte ist ein Krankenhaus in Form einer GmbH und Teil des Krankenhausplans Bayern. Sie verfügt über eine eigene gefäßchirurgische Abteilung, nicht jedoch über eine eigene Abteilung, die neurochirurgische Notfalleingriffe oder interventionell-neuroradiologische Behandlungsmaßnahmen vornehmen könnte. Zur Versorgung von Schlaganfallpatienten hat sie sich daher dem sog. TEMPiS-Netzwerk (Telemedizinisches Pilotprojekt zur integrierten Schlaganfallversorgung) angeschlossen. Kooperationspartner im Rahmen des TEMPiS-Netzwerks sind die Schlaganfallzentren in E-Stadt H. (Klinik für Neurologie und Neurologische Intensivmedizin, E-Stadt Klinik H., H-Straße, E-Stadt) und an der Universität R-Stadt (Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität R-Stadt am Bezirksklinikum, R-Straße, R-Stadt).

Vom 20.08.2014 bis zum 23.08.2014 wurde im Krankenhaus der Beklagten der bei der Klägerin versicherte Patient D. stationär behandelt. Die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Den Aufenthalt des Patienten D. hat die Beklagte gegenüber der Klägerin mit einem Betrag von 3490,07 € abgerechnet. Zugrunde gelegt wurde dabei der OPS 8-98b (andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls).

Der OPS 8-98b in der 2014 gültigen Fassung setzte als Mindestmerkmale voraus:

"Behandlung auf einer spezialisierten Einheit durch ein multidisziplinäres, auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiertes Team unter fachlicher Behandlungsleitung durch einen Facharzt für Neurologie oder einen Facharzt für Innere Medizin (in diesem Fall muss im Team der neurologische Sachverstand kontinuierlich eingebunden sein) mit:

(...)

unmittelbarem Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen (Es gibt jeweils eine eigene Abteilung im Hause oder einen Kooperationspartner in höchstens halbstündiger Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende). Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn die halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (z.B. Hubschrauber) grundsätzlich erfüllbar ist. Wenn der Transport eines Patienten erforderlich ist und das Zeitlimit nur mit dem schnellstmöglichen Transportmittel eingehalten werden kann, muss dieses auch tatsächlich verwendet werden. Wenn ein Patient transportiert wurde und die halbe Stunde nicht eingehalten werden konnte, darf der Kode nicht angegeben werden.)"

Diese Rechnung wurde von der Klägerin beglichen. In der Folge machte sie jedoch einen Rückerstattungsanspruch in Höhe von 992,11 € geltend. Begründet wurde dieser Rückerstattungsanspruch damit, dass die vom OPS 8-98b vorausgesetzte Zeitgrenze von 30 Minuten, innerhalb derer ein Transport des Patienten zum Kooperationspartner erfolgen müsse, von der Beklagten nicht eingehalten werden könne. Die Kodierung des OPS 9-89b sei daher nicht korrekt.

Diesem Rückerstattungsverlangen kam die Beklagte jedoch nicht nach, weshalb die Klägerin am 06.11.2018 Klage zum Sozialgericht München erhob. Begründet wurde die Klage mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Auslegung des Transportzeitkriteriums im OPS 8-98b, Urteil vom 19.06.2018, B 1 KR 39/17, wonach sich die Transportzeit nicht nur auf den Aufenthalt im Transportmittel, sondern auf die gesamte Rettungskette bezieht.

Die Beklagte hingegen berief sich auf die durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vom 09.11.2018 eingeführte Gesetzesänderung, die in § 301 Abs. 2 Satz 4 SGB V (inzwischen § 301 Abs. 2 S. 6 SGB V) das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ermächtigt, bei Auslegungsfragen zu den Prozedurenschlüsseln Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit vorzunehmen. Dieser Ermächtigung sei das DIMDI am 03.12.2018 nachgekommen und habe zum OPS 8-98b das Corrigendum angefügt, dass unter der Transportzeit nur die Zeit im...

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