Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Dokumentationspflichten in einem MVZ. Verständlichkeit der Dokumentation für fachkundigen Außenstehenden. Dokumentationspflichtverletzung als Verletzung vertragsärztlicher Pflichten. Verantwortlichkeit des MVZ für die korrekte Organisation der Leistungsabrechnung. Pflichten und disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit des ärztlichen Leiters des MVZ. praktische Umsetzung der Kooperationsform gemäß dem Zulassungs-/Genehmigungsstatus

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 57 BMV-Ä bzw § 10 Abs 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns (juris: ÄBerufsO BY 2002) und Art 18 Abs 1 Ziffer 3 Heilberufekammergesetz (HKaG) (juris: HKG BY 2002) besteht für den Vertragsarzt eine allgemeine Dokumentationspflicht. Es ist so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne weiteres in der Lage ist, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt sind.

2. Die Nichtvorlage ausreichender Dokumentationen stellt eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten dar. Denn sie führt dazu, dass die KV ihre Verpflichtung aus § 75 Abs 2 SGB V nicht wahrnehmen kann und letztendlich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnung vereitelt wird (vgl auch LSG Berlin-Potsdam vom 22.11.2013 - L 24 KA 69/12).

3. Das zugelassene medizinische Versorgungszentrum hat die volle Verantwortung für die korrekte Organisation der Behandlung und für die Leistungsabrechnung. Diese Kernaufgaben des MVZs werden in personam des ärztlichen Leiters wahrgenommen.

4. Aufgrund der Gesamtverantwortung des ärztlichen Leiters eines MVZs, die auch die Richtigkeit der Abrechnung mit umfasst, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, vorrangig disziplinarrechtlich gegen angestellte Ärzte im MVZ und allenfalls subsidiär gegen den ärztlichen Leiter vorzugehen, auch wenn diese die Leistungen nicht entsprechend der rechtlichen Vorgaben erbracht haben sollten.

Kooperationsformen müssen so „gelebt“ werden, wie dies dem Zulassungsstatus/Genehmigungsstatus entspricht. Wer sich für eine bestimmte Kooperationsform entscheidet, muss sich daran festhalten lassen.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 05.04.2019. Gegen den Kläger wurde eine Geldbuße in Höhe von 8.000 € zuzüglich einer Gebühr in Höhe von 900 € verhängt. Der Kläger (Dr. F.) ist Leiter eines MVZ‚s in M. In einer Entfernung von ca. 8 Kilometer, in P. befindet sich ein weiteres MVZ, dessen Leiter Dr. J. ist. Beide MVZs beschäftigen Ärzte mit annähernd identischen Fachrichtungen (Orthopädie-Chirurgie). Nachdem sich ein Verdacht der Implausibilität wegen der großen Anzahl gemeinsamer Patienten ergab, erließ die Beklagte den Bescheid vom 13.07.2016. Das Honorar für die Quartale 1/12-3/13 wurde aufgehoben und neu festgesetzt. Gleichzeitig wurde eine Gesamtrückforderung in Höhe von 78.674,68 € geltend gemacht. Die Beklagte führte zur Begründung aus, die Frist des § 18 Abs. 3 der Satzung der KVB (2-jährige Ausschlussfrist) sei eingehalten worden. Die Frist beginne mit dem Plausibilitätsgespräch am 23.06.2016. Der Kläger habe die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verletzt. Er habe rechtsmissbräuchlich die Kooperationsform einer Praxisgemeinschaft genutzt, aber wie eine Gemeinschaftspraxis gehandelt. Es gebe viele gemeinsame Patienten. Des Weiteren sei es zu einer Mehrung der Fallzahlen und einer Mehrung der Leistungen gekommen. Bei zwei versorgungsbereichsidentischen MVZ‚s liege das Aufgreifkriterium bei 20 % Patientenidentität. Überweisungen von einem MVZ in das andere seien in vielen Fällen medizinisch nicht nachvollziehbar. Festzustellen sei eine rechtsmissbräuchliche Doppelbehandlung (zum Beispiel psychotherapeutische Behandlung am selben Tag). Es wurden Pauschalen beider Fachgruppen in Ansatz gebracht. Außerdem sei ein gemeinsames Einlesen der Versichertenkarte festzustellen. Ferner sei die Abrechnung der Gebührenordnungsposition (GOP) 30760 EBM zu beanstanden. Auch hier liege ein Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung vor. Deren Leistungsinhalt sei nur bei einer 30-minütigen Überwachung erfüllt. Dies wäre ausreichend zu dokumentieren gewesen, was jedoch unterlassen worden sei. Der Kläger habe auch schuldhaft gehandelt. Es sei die notwendige Sorgfalt außer Acht gelassen worden. Auch, wenn die Leistungen von ihm nicht erbracht worden seien, habe er eine Überwachungspflicht in seiner Funktion als ärztlicher Leiter. Das Abrechnungsverhalten sei ab dem Quartal 3/13 geändert worden. Entsprechend der Schwere der Verfehlung werde eine Geldbuße in Höhe von 8.000 € für angemessen und verhältnismäßig gehalten.

Dagegen ließen der Kläger und auch sein Kollege im MVZ P. Klagen zum Sozialgericht München einlegen. Die Klage des ärztlichen Leiters des MVZs P. wurde unter dem Aktenzeichen S 20 KA 166/19 erfasst.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der in beiden Verfahren bevollmächtigt war, wies d...

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