Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss von Ausländern bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Arbeitnehmereigenschaft. Freizügigkeit. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
1. Liegt bei einem Unionsbürger die Arbeitnehmereigenschaft iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004 vor und leitet sich sein Aufenthaltsrecht daher aus dem europarechtlichen Arbeitnehmerstatus ab, so liegt kein Fall des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 vor.
2. § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 in seiner ab 1.4.2006 geltenden Fassung beinhaltet eine Ungleichbehandlung von ausländischen Unionsbürgern, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und deutschen Staatsangehörigen in Bezug auf ihren Zugang zu den hier im Streit stehenden Leistungen nach dem SGB 2. Diese Ungleichbehandlung verstößt gegen geltendes Gemeinschaftsrecht und ist somit unzulässig. Die Folge ist, dass § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 durch die nationalen Gerichte nicht angewandt werden darf, soweit die Vorschrift Unionsbürger vom Zugang zu diesen Leistungen ausschließen würde, oder dass sie jedenfalls so auszulegen ist, dass ausländische Unionsbürger durch sie nicht von den genannten Leistungen ausgeschlossen werden.
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2006 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 25. April 2006 bis zum 31. August 2006 Arbeitslosengeld II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Die in den Jahren 1973 und 1981 geborenen Kläger sind seit 2003 verheiratet und leben seit 12.06.2005 zusammen in einer 31 qm großen Mietwohnung in M ... Der Kläger zu 1 ist italienischer Staatsbürger und war vom 12.09.2005 bis 26.04.2006 mit kurzen Unterbrechungen in Deutschland erwerbstätig; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 2 der Gerichtsakte Bezug genommen. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 2, ist bulgarische und seit Mai 2007 auch italienische Staatsangehörige. Sie hat in den Jahren 1999 bis 2002 neben ihrem Studium versicherungspflichtige Teilzeittätigkeiten in der Gastronomie ausgeübt.
Am 25.04.2006 beantragten sie bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und trugen vor, sie hätten sich beim Studium in M. kennengelernt. Im Jahre 2003, seien sie zusammen nach Italien übergesiedelt. Im Mai 2005 habe der Kläger zu 1 dort sein Studium abgeschlossen. Da die Arbeitssuche in Italien für beide erfolglos verlaufen sei, seien sie wieder nach M. gezogen. Trotz guter Qualifikation hätten sie bislang keine feste Anstellung gefunden. Ihren Lebensunterhalt hätten sie bis zur Antragstellung mit diversen Jobs, finanzieller Unterstützung der Eltern und Darlehen von Freunden bestritten. Dies sei jetzt jedoch nicht mehr möglich.
Mit Bescheid vom 18.05.2006 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, bei den Klägern handle es sich um Ausländer, deren Aufenthaltsrecht in Deutschland sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Somit seien sie kraft Gesetzes vom Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ausgeschlossen. Die Kläger hätten auch nicht durch eine ausreichende Vorbeschäftigung in Deutschland Arbeitnehmerstatus erlangt. Ihren Widerspruch gegen diese Entscheidung stützten die Kläger im wesentlichen auf das "Gleichbehandlungsgebot im Europäischen Sozialrecht". Mit Bescheid vom 03.08.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung ergänzte sie ihre Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid dahingehend, die Erlangung eines Arbeitnehmerstatus nach europäischem Recht setze eine Vorbeschäftigung von mindestens zwölf Monaten voraus, woran es im vorliegenden Fall fehle.
Hiergegen richtet sich die am 22.08.2006 beim Sozialgericht M. eingegangene Klage. Die Kläger sehen in der Entscheidung der Beklagten einen Verstoß gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft. Hinsichtlich der Einzelheiten der Klagebegründung wird auf die Klageschrift vom 20.08.2006 (Blatt 1 ff. Gerichtsakte) Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 08.08.2007 hat der Kläger zu 1 erklärt, er sei seit dem 01.09.2006 wieder versicherungspflichtig beschäftigt.
Die Kläger haben im Hinblick darauf ihren ursprünglichen Antrag reduziert und beantragen nunmehr,
den Bescheid der Beklagten vom 18.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Ihnen für die Zeit vom 25.04.2006 bis 31.08.2006 Arbeitslosengeld II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kammer lag die Behördenakte der Beklagten (85 Blatt) bei ihrer Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Kläger haben für den (noch) streitgegenständlichen Zeitraum de...