Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Erlöschen des Kostenersatzanspruchs des Sozialhilfeträgers drei Jahre nach dem Tod des Leistungsberechtigten. Hemmung der Verjährung. Erlass eines Kostenersatzbescheides. Widerspruch. Nichtbetreiben des Verfahrens. Beendigung der Hemmung sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung. Abgabe des Widerspruchsverfahrens an die Widerspruchsbehörde. erneute Hemmung der Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach Widerspruch des Erben eines Leistungsempfängers gegen einen Bescheid auf Kostenersatz nach§ 102 SGB XII kann dieser Anspruch erlöschen, wenn die Ausgangsbehörde durch Nichtbetreiben des Verfahrens die Hemmung des Erlöschens beendet entsprechend§ 102 Abs 4 S 2 ,§ 103 Abs 3 S 2 und 3 SGB XII iVm§ 204 Abs 2 BGB .
2. Die Abgabe eines Widerspruchsverfahrens an die Widerspruchsbehörde genügt für ein Weiterbetreiben des Verfahrens entsprechend § 204 Abs 2 S 3 BGB und für eine erneute Hemmung des Erlöschens des Kostenersatzanspruchs. Eine Mitteilung an den Widerspruchsführer ist dafür nicht erforderlich.
Tenor
I. Der Bescheid vom 22. Dezember 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 2024 wird dahingehend abgeändert, dass die Klägerin 34.168,27 Euro an Kostenersatz zu zahlen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 34.710,93 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung zum Kostenersatz als Erbin einer Leistungsbezieherin gemäß § 102 SGB XII in Höhe von 34.710,93 Euro,
Der Beklagte erbrachte der Mutter der Klägerin, Frau H., geboren 1961, ab 01.12.2016 bis 30.11.2018 Leistungen der Eingliederungshilfe für ambulante Betreuung durch einen Betreuungsdienst im Umfang von sechs Stunden pro Woche (Bewilligungsbescheid vom 03.01.2017, Änderungsbescheid vom 13.04.2017). Die verwitwete Leistungsempfängerin war aufgrund von Diabetes erblindet. Sie lebte in einem Einfamilienhaus, das zu drei Viertel in ihrem Eigentum stand, zu einem Viertel im Eigentum der Klägerin. Die Leistungsempfängerin hatte zunächst die Pflegestufe eins, ab Januar 2017 den Pflegegrad 3. Ihr wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt sowie die Merkzeichen G, Bl, H und RF. Sie verfügte bei Leistungsbeginn über eine Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich 660,39 Euro und eine Witwenrente von monatlich 493,46 Euro (jeweils Zahlbetrag). Mit dem Leistungsantrag von Mitte 2016 gab sie an, über Vermögen in Form einer Kapitallebensversicherung von ca. 15.000,- Euro zu verfügen, die zur Sicherheit für das Hausdarlehen abgetreten worden war. Daneben bestanden nach Auflösung einer Sterbegeldversicherung ein Kontoguthaben in Höhe von 3.014,38 Euro. Die Leistungsempfängerin stand unter gesetzlicher Betreuung.
Neben der Eingliederungshilfe bewilligte der Beklagte der Leistungsempfängerin Blindenghilfe gemäß § 72 SGB XII in Höhe von monatlich etwa 65,- Euro. Die einzelnen monatlichen Zahlungen sind in einer Tabelle in der Verwaltungsakte Seiten 426 ff dargestellt. Der Gesamtbetrag von 34.710,93 Euro enthält neben Eingliederungshilfe und Blindengeld auch 65,- Euro für sonstige Kosten im September 2016.
Der Betreuer der Leistungsempfängerin teilte dem Beklagten im Dezember 2018 mit, dass die Lebensversicherung zum Vertragsablauf am 01.06.2018 kurzfristig freigegeben wurde und der Rückkaufswert von 18.165,30 Euro am 29.05.2018 an die Leistungsempfängerin überwiesen wurde. Von diesem Geld wurden etwa 9.500,- Euro nachweislich für die Erneuerung der Heizung des Eigenheimes verwendet.
Im Dezember 2018 teilte der Betreuer dem Beklagten mit, dass sich die Gesundheit der Leistungsempfängerin sehr verschlechtert habe und eine 24-Stunden Pflege erforderlich sei. Zu einer Bewilligung von Hilfe zur Pflege kam es nicht mehr. Die Leistungsempfängerin verstarb am 10.01.2019.
Der Beklagte fragte mit Schreiben vom 17.01.2019 bei der Klägerin an, ob diese Erbin geworden sei und welches Vermögen die Leistungsempfängerin hinterlassen habe. Die Erben seien zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe aus dem Nachlass gemäߧ 102 SGB XII verpflichtet. Die Klägerin übermittelte daraufhin am 07.02.2019 den teilweise ausgefüllten Fragebogen zu Vermögenswerten mit einigen handschriftlichen Hinweisen. Am 23.04.2019 teilte das Amtsgericht-Nachlassgericht dem Beklagten, dass die Klägerin alleinige Erbin der Leistungsempfängerin wurde. Mit Schreiben vom 26.08.2019 forderte der Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung auf, zu verschiedenen Fragen des beabsichtigten Kostenersatzes durch Erben Stellung zu nehmen und Nachweise vorzulegen. Die Klägerin reagierte nicht.
Die Klägerin zog im Februar 2021 innerhalb von M-Stadt in die S-Straße um.
Mit Schreiben vom 17.11.2021 forderte der Beklagte die Klägerin unter ihrer vormaligen Anschrift nochmals auf, Antworten und Unterlagen bis spätestens 03.12.2021 zu übermitteln. Mit Schreiben vom 25.11.2021 teilte die Klägerin dem Beklagten daraufhin mit, dass das Hau...