Entscheidungsstichwort (Thema)
Bayerisches Familiengeld. kein Ausschluss durch österreichisches Kinderbetreuungsgeld. keine Anrechnung. europäische Sozialrechtskoordinierung. Anwendung der Prioritätsregeln nur auf gleichartige Familienleistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Anspruch auf bayerisches Familiengeld gem Art 2 Abs 1 S 1 BayFamGG (juris: FamGG BY) neben österreichischen Familienleistungen.
2. Anwendung der Antikumulierungsregelung des Art 68 Verordnung (EG) Nr 883/2004 (juris: EGV 883/2004) nur bei gleichartigen Familienleistungen.
3. Bayerisches Familiengeld dient nicht der Existenzsicherung und wird einkommensunabhängig gewährt, damit ist es nicht mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar, vgl auch österreichischer Oberster Gerichtshof, Entscheidung vom 26.5.2020 - 10 ObS 1/20 z.
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03.12.2018 sowie des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019 verurteilt, dem Kläger Familiengeld für seinen Sohn K in Höhe von 250 € monatlich ab dem 08.09.2018 bis 07.01.2019 zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits des Klägers.
Tatbestand
Streitig ist vorliegend die Gewährung von Familiengeld für den Sohn des Klägers K, geboren am 08.01.2016, ab Inkrafttreten des bayerischen Familiengeldgesetzes zum 01.09.2018, vergleiche Art. 9a Abs. 1 BayFamGG, bis zum Ablauf des 36. Lebensmonats, vergleiche Art. 3 Abs. 3 BayFamGG.
Der Beklagte lehnte die Gewährung von Familiengeld ab, vgl. ablehnenden Bescheid vom 03.12.2018 in der Gestalt des ablehnenden Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019. Er bezog sich dabei darauf, dass gem. Art. 11, Art. 67, 68 VO (EG) Nr. 883/2004, Verfahrensregelung in Art. 60 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 987/2009, vorliegend Österreich vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig sei und Deutschland nachrangig ggf. zur Zahlung eines Unterschiedsbetrags verpflichtet sei. Eine diesbezügliche Berechnung habe aber nicht vorgenommen werden können, da die maßgeblichen Unterlagen nicht eingereicht worden seien.
Der Kläger führte im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 17.03.2019 aus, dass er und seine Ehefrau in Österreich unselbstständig sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien. Da Österreich gemäß den EG Verordnungen 883/2004 und 987/2009 vorrangig für Familienleistungen zuständig sei, hätten er und seine Ehefrau keinen Antrag auf das deutsche Elterngeld gestellt. Das bayerische Familiengeld habe man separat beantragt. In Österreich gebe es keine dem bayerischen Familiengeld vergleichbare Leistung. Der Kläger bekomme für seinen Sohn K die österreichische Familienbeihilfe und als Ausgleichszahlung das deutsche Kindergeld. Weitere Leistungen habe der Kläger und seine Ehefrau im Jahr 2018 nicht bezogen. Eine Beachtung zwischenstaatlicher Zahlungen sei gemäß Art. 4 BayFamGG vorgesehen, jedoch erhalte der Kläger keine solchen dem bayerischen Familiengeld vergleichbare Leistungen aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat. Somit gelte gemäß Art. 68 VO 883 die Zuständigkeit des Wohnsitzstaates. Auch das zeitliche Zusammentreffen des bayerischen Familiengelds mit anderen Familienleistungen außer dem Kindergeld inklusive österreichischer Familienbeihilfe trete beim Kläger im Zeitraum 01.09.2018 bis 07.01.2019 nicht auf. Der Kläger legte vor Schreiben der Salzburger Gebietskrankenkasse über Bezug von österreichischem Kinderbetreuungsgeld durch den Kläger vom 08.01.2017 bis 07.03.2017 in Höhe von 65,42 € täglich. Eine Nichtgewährung des bayerischen Familiengelds stelle eine Diskriminierung nach Art. 3 Grundgesetz dar. Es sei auch auf das Gutachten zu Anrechenbarkeit des Familiengelds auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch II vom 21.09.2018 zu verweisen. Gemäß Art. 1 BayFamGG solle das bayerische Familiengeld nicht auf andere existenzsichernde Sozialleistungen angerechnet werden. Es handele sich um eine einkommensunabhängige Zahlung. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen gemäß Art. 2 BayFamGG und habe seinen Wohnsitz in Bayern.
Der Beklagte führte mit Stellungnahme vom 23.09.2019 aus, dass das bayerische Familiengeld nach den Gesetzesbegründungen folgende Zweckbestimmung habe, vergleiche LT-Drs. 17/22033, 18/346:
"Mit dem bayerischen Familiengeld erhalten Eltern mit Kleinkindern eine vom gewählten Lebensmodell der Familie unabhängige, gesonderte Anerkennung ihrer Erziehungsleistung. Eltern erhalten zugleich größere ökonomische Gestaltungsspielräume, frühe Erziehung und Bildung der Kinder einschließlich gesundheitsförderlicher Maßnahmen in der jeweils von ihnen gewählten Form zu ermöglichen, zu fördern und insbesondere auch entsprechend qualitativ zu gestalten.... Familiengeld dient somit nicht der Existenzsicherung, sondern darüberhinausgehenden Bedarfen. Das Geld soll insbesondere auch für Elternkurse zur Stärkung der Bindung- und Erziehungsfähigkeit der Eltern sowie für Kinderkurse zur Bildung der Kinder wie Kleinkinderschwimmen, Musikerziehung, besondere größ...