Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Hausarztvertrag (Bayern). Verletzung vertraglicher Pflichten durch teilnehmenden Arzt. Schadensersatzanspruch der Krankenkasse. Vertragsänderungen während der Gestaltungsdauer. Verbindlichkeit der Anpassungen erfordert Erfüllung der Informationspflichten der Vertragspartner. objektiver Empfängerhorizont der Beteiligten maßgebend. keine Anwendung des § 95 Abs 3 S 3 SGB 5 im Selektivvertragsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Verletzt ein am Hausarztvertrag (§ 73b SGB V) teilnehmender Arzt seine Pflichten, ist er zum Schadenersatz verpflichtet (in Bayern: § 15 Abs 4 S 5 HzV-V iVm § 280 BGB).
2. Während der Gestaltungsdauer eines Hausarztvertrages nach § 73b SGB V eintretende Änderungen des Vertrages werden für den teilnehmenden Arzt nur dann verbindlich, wenn der/die Vertragspartner des Hausarztvertrages bei im Vertrag geregelter Informationspflicht dieser Pflicht in ausreichendem Umfang nachgekommen sind.
3. Für die Auslegung einer solchen Informationsmitteilung kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten an. Es gilt wie bei den "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" (§§ 305ff BGB) das Transparenzgebot (vgl Palandt, Kommentar zum BGB, Rn 20 zu § 307).
Orientierungssatz
1. § 95 Abs 3 S 3 SGB 5 ist im Selektivvertragsrecht nicht anwendbar. Denn diese Vorschrift steht im Zusammenhang mit der Zulassung des Vertragsarztes, den damit verbundenen Rechten und Pflichten des Vertragsarztes und bezieht sich daher nur auf das Kollektivvertragsrecht, nicht auf das Selektivvertragsrecht.
2. Der Umstand, dass Leistungen im medizinischen Bereich und deren Bewertung (hier: Substitutionsleistungen im EBM-Ä 2008) einer dynamischen Entwicklung unterliegen, trifft zu, führt aber nicht dazu, dass Änderungen des Hausärztevertrages aus diesem Grund für den teilnehmenden Arzt verbindlich werden.
3. Zu Leitsatz 3 vgl LSG Berlin-Potsdam vom 30.8.2017 - L 32 AS 1605/15.
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.484,81 Euro zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt 3/4 der Kosten des Verfahrens, der Beklagte trägt 1/4 der Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der von der Klägerin geltend gemachte Rückforderungsanspruch in Höhe von 5.286,58 €.
Der Beklagte nahm am Hausarztvertrag (HzV-V) teil. Nachdem die Klägerin bei dem Beigeladenen Korrekturanträge gestellt hatte, daraus resultierende Forderungen beim Beklagten aber nicht realisierbar waren, wurde die Forderung an die Klägerin abgetreten.
Die Klägerin gab als Korrekturgrund an, der Beklagte habe Leistungen doppelt abgerechnet bzw. bestimmte Leistungen seien im entsprechenden Quartal nicht mehr abrechenbar gewesen. Die Doppelabrechnungen würden darin bestehen, dass Leistungen zum einen über den Hausarztvertrag, insbesondere durch Pauschalen und Zuschläge erfasst seien, die Leistungen sodann über den beigeladenen Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV) abgerechnet wurden, zum anderen aber auch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Die Klägerin listete die Leistungen unter Nennung der EBM-Ziffern, die ihres Erachtens vom HZV-V erfasst und deshalb nicht zusätzlich abrechenbar sind, in folgenden Schaubild auf:
... (Anm.: Schaubild nicht darstellbar es handelt sich um Leitungen der GOP‚s 01950, 01951, 01952, 02300, 03111, 03212, 03321, 03322, 03324, 03330, 03331, 32001, 32030, 32040, 32042, 32057, 32066, 32089, 32141-31146, 32150, 33042, 35100, 35110, 40106, 40144)
Im HZV-V sei eine Vergütungssystematik vorgesehen, die grundsätzlich auf Pauschalen basiere. Es werde auf Anhang 1 zur Anlage 10 zum Hausarztvertrag hingewiesen. Dort sei ein sog. "Ziffernkranz" abgebildet, d.h. EBM-Ziffern bzw. GOP‚s würden vor allem den vereinbarten Pauschalen und Zuschlägen zugeordnet.
Aus dem Schaubild ergibt sich, dass ein Großteil der Rückforderung auf Substitutionsleistungen (GOP‚s 01950, 01951 und 01952) entfällt.
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten machte darauf aufmerksam, beim Beklagten handle es sich um einen sogenannten Substitutionsarzt. Die Rückforderung der Klägerin verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 GG und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB). Es sei auch ein Vertrauenstatbestand für Ärzte und Patienten entstanden, insbesondere im Hinblick auf den langen Zeitabstand zwischen dem Zeitpunkt der Leistungserbringung und dem Zeitpunkt der Rückforderung. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass Änderungen des HZV-V den teilnehmenden Ärzten mitzuteilen seien. Soweit sich die Klägerin auf den Info-Brief Nr. 10 des Beigeladenen beziehe, seien Änderungen diesem Informationsbrief nicht ohne weiteres zu entnehmen. Der Beklagte sei nicht ausreichend informiert worden mit der Folge, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, den Änderungen zu widersprechen oder von dem ihm zustehenden Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen. Den teilnehmenden Ärzten sei nicht zumutbar, sich durch da...