Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Versagung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Fallzahlvergleich. fortführungsfähige Praxis. Berufsausübungsgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
I. Legen Krankenkassen gegen eine Entscheidung des Zulassungsausschusses, betreffend die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens Anfechtungsklage ein und erledigt sich diese durch Antragsrücknahme des antragstellenden Vertragsarztes, ist eine Wiederholungsgefahr auch dann zu bejahen, wenn bei ähnlichen Konstellationen, auch wenn es um die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens auf Antragstellung anderer Vertragsärzte geht, bei im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen zu erwarten ist, dass der Zulassungsausschuss in gleicher Weise positiv entscheidet. Damit ist die Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage nicht entfernt liegend (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2002, Az B 6 KA 32/01 R; SG Berlin, Urteil vom 10.07.2019, Az S 83 KA 264/17).
II. Die zum Zulassungsentzug (Annahme der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit) führenden Fallzahlen sind grundsätzlich auch auf die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens anzuwenden. Bei Würdigung der geringeren Eingriffsintensität und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit können sogar höhere Fallzahlen (über 10 % der Fallzahlen der Vergleichsgruppe) die Versagung der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens rechtfertigen.
III. Ein Fallzahlvergleich zur Beurteilung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis ist nur möglich, wenn keine besondere Praxisstruktur vorliegt.
IV. Für die Frage, ob eine für die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Berufsausübungsgemeinschaft fortführungsfähige Praxis besteht, ist auf die Berufsausübungsgemeinschaft als Ganzes und nicht auf den einzelnen Arzt abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2018, Az B 6 KA 46/17 R).
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten der Verfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.
Tatbestand
Die Anfechtungsklage der Krankenkassen (Kläger) richtete sich zunächst gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses (Beklagter) vom 14.06.2017. Damit wurde dem Antrag der Beigeladenen zu 1 auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens stattgegeben. Die Beigeladene zu 1 war und ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin mit einem vollen Versorgungsauftrag zugelassen und befindet sich mit ihrem Ehemann in Gemeinschaftspraxis in einem für diesen Bereich überversorgten Gebiet.
In dem streitgegenständlichen Bescheid vertrat der Beklagte die Auffassung, die Voraussetzungen für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a SGB V seien erfüllt. Im Planungsbereich (B-Stadt) gebe es zwar eine Überversorgung mit einem Versorgungsgrad von 137,1 %. Die Versorgungstätigkeit der Antragstellerin sei jedoch nicht so gering einzuschätzen, dass eine vertragsärztliche Tätigkeit nicht oder nicht mehr in nennenswertem Umfang ausgeübt worden wäre. Die Praxis sei fortführungsfähig, obwohl sie im Durchschnitt 44,3 Fälle im Quartal bei einer Wochenarbeitszeit von 1,4 Stunden gegenüber einer Wochenstundenzahl von 40,3 Stunden bei der Fachgruppe behandele, was lediglich 5 % des Fachgruppendurchschnitts entspreche. Die Nachbesetzung sei aus Versorgungsgründen nach § 103 Abs. 3a S. 3 erster HS. erforderlich. Der Rückgang der Fallzahlen sei auf die Erkrankung der Antragstellerin zurückzuführen. Die Patienten der Antragstellerin seien von dem Ehemann der Antragstellerin mitversorgt worden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Gemeinschaftspraxis eine besondere Patientenstruktur aufweise, die es notwendig mache, die Praxis an einen Nachfolger zu übergeben, um den Betrieb der Hausarztpraxis langfristig sicherzustellen.
Dagegen legten die Krankenkassen Klagen zum Sozialgericht München ein. Sie vertreten die Auffassung, der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 14.06.2017 sei rechtswidrig.
Die Klägerin zu 1 führte aus, es handle sich um keine fortführungsfähige Praxis mehr, da die Arbeitszeit von 1 bis 2 Stunden pro Woche (3 % bis 5,2 % unter dem Fachgruppendurchschnitt) keine nennenswerte vertragsärztliche Tätigkeit darstelle. In dem Zusammenhang sei auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Bayern vom 08.04.2013 (Az. L 12 KA 82/11) hinzuweisen. Das Gericht gehe davon aus, dass bei weniger als 10 % der Fallzahl des Fachgruppendurchschnitts die Zulassung entzogen werden könne. Zu beachten sei auch, dass die gemeinsamen Behandlungsfälle der Gemeinschaftspraxis ebenfalls weit unterdurchschnittlich seien. Es sei nicht zu erkennen, dass der Ehemann der Beigeladenen zu 1 deren Behandlungsfälle mitversorge. Die vom Zulassungsausschuss behauptete Versorgungsrelevanz des Vertragsarztsitzes sei weder plausibel noch nachvollziehbar. Es gebe im Planungsbereich B-Stadt zwei Arztpraxen, deren Fallzahlen weit unter dem Fachgruppendurchschnitt lägen und die deshalb genügend Kapazitäten aufwiesen, um die geringe...