Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 3101. Covid-19-Infektion. Einwirkungskausalität. besonders erhöhte Infektionsgefahr. keine Index-Person. hohe Anzahl an übertragungsgeeigneten Gesprächskontakten am Arbeitsplatz. Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung. Auskunft des RKI. kein Nachweis außerberuflicher Infektionsquellen. Apothekenmitarbeiterin
Leitsatz (amtlich)
Beruht die Übertragungsgefahr des Covid-19-Virus bei der versicherten Tätigkeit insbesondere auf einer hohen Anzahl an übertragungsgeeigneten Gesprächskontakten, ist im Hinblick auf die für die Anerkennung der BK-Nr 3101 der Anlage zur BKV erforderlichen besonderen Infektionsgefahr gegenüber der allgemeinen Bevölkerung der Stand der Pandemie (insb das Vorliegen von Ausgangsbeschränkungen) im Inkubationszeitraum ein wesentliches Kriterium."
Tenor
I. Unter Aufhebung des Bescheids vom 12.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2024 wird die Covid-19-Infektion der Klägerin, nachgewiesen mit PCR-Test vom 04.01.2021, als BK-Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV festgestellt.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig war die Anerkennung einer Covid-19-Infektion als BK-Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ("Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war").
Die am 1980 geborene Klägerin wurde mit PCR-Test vom 04.01.2021 positiv auf das Corona-Virus getestet.
Mit Bescheid vom 12.10.2022 wurde die Anerkennung einer BK-Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV abgelehnt. Eine konkrete Indexperson habe die Versicherte nicht benennen können.
Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2024 zurückgewiesen. Die bloße Möglichkeit einer beruflichen Ansteckung reiche für den Nachweis nicht aus.
Hiergegen ließ die Klägerin am 14.03.2024 Klage erheben.
Die Klägerin sei in einer Apotheke als pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin angestellt und daher einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen. Es habe zum damaligen Zeitpunkt noch keine Impfung gegeben und das Tragen einer FFP2-Maske sei noch nicht üblich gewesen. Anfang Januar sei die Klägerin an Covid-19 erkrankt. Sie habe sich bis heute nicht davon erholt.
Auf gerichtliche Nachfrage führte die Klägerbevollmächtigte weiter aus, dass die Klägerin bei einigen Ärzten mit Symptomen im Beratungszimmer der Apotheke nur unter Nutzung einer Maske Tests durchgeführt habe.
Auf eine weitere gerichtliche Nachfrage konnten die Ärzte namentlich nicht benannt werden. Die Klägerin habe auch bei der Ausgabe der FFP2-Masken unmittelbaren Kontakt mit den Kunden gehabt. Zwischen dem 15.12.2020 und dem 31.12.2020 sei kein Kontakt mit einer infizierten Person im privaten Umfeld bekannt. Die Weihnachtsfeiertage und Silvester habe die Klägerin mit ihrem Mann zuhause verbracht. Der Ehemann sei damals wegen einer Knie-OP im Krankenstand gewesen und habe das Haus sowieso nicht verlassen können.
Das Verfahren wurde am 21.01.2025 zur mündlichen Verhandlung geladen. Vernommen wurden die Inhaberin der Apotheke, S., sowie der Ehemann der Klägerin, A., als Zeugen. Auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wird verwiesen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte,
den Bescheid vom 12.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchbescheids der Beklagten vom 15.02.2024 aufzuheben und festzustellen, dass die Erkrankung der Klägerin (Covid- 19 Infektion) im Januar 2021 eine Berufskrankheit nach der Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung ist.
Die Beklagtenvertreterin beantragte,
die Klage abzuweisen.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage war begründet. Ihr war daher stattzugeben.
1. Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht gemäß §§ 87, 90, 92 SGG beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist zulässig.
Die Möglichkeit, auch eine (kombinierte Anfechtungs- und) Verpflichtungsklage auf Verpflichtung zur Feststellung einer Unfall- oder Berufskrankheitsfolge oder zur Feststellung eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit durch den Beklagten zu erheben, schließt nach der Rechtsprechung eine (mit einer Anfechtungsklage kombinierte) Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 SGG nicht aus (Meyer-Ladewig/Keller Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 14. Auflage, § 55 Rn. 13c). Der Kläger/die Klägerin kann nach der Rechtsprechung wählen, welche dieser in Betracht kommenden Klagen er/sie erhebt (BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 31/11 R, Juris Rn. 17).
2. Die Klage war nach Würdigung der Beweisaufnahme vom 21.01.2025 zur Überzeugung der Kammer auch begründet.
Der Bescheid vom 12.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbesche...