Entscheidungsstichwort (Thema)
Bayerisches Betreuungsgeld. Anspruchsberechtigung für vor 1.8.2012 geborene Kinder. sozialgerichtliches Verfahren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. schuldlose Versäumung der Klagefrist. vorhergehende Klageeingangsbestätigung des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Das Bayerische Betreuungsgeldgesetz (BayBtGG - juris: BtGG BY) enthält keinen Leistungsausschluss für Kinder, die vor dem 1.8.2012 geboren sind. § 27 Abs 3 BEEG ist weder direkt noch entsprechend anwendbar. Damit können Eltern für Kinder, die vor dem 1.8.2012 geboren sind, für Leistungszeiträume ab 1.1.2015 (Inkrafttreten des BayBtGG) Betreuungsgeld erhalten.
Orientierungssatz
1. Wenn der Antrag spätestens am 22.9.2016 gestellt worden ist, entfällt auch die Begrenzung der Rückwirkung auf die letzten drei Monate vor dem Antragsmonat nach Art 5 Abs 1 S 2 BtGG BY.
2. Die Klagefrist ist iS des § 67 SGG ohne Verschulden nicht eingehalten worden, wenn der Kläger infolge einer vorhergehenden Klageeingangsbestätigung des Gerichts davon ausgehen durfte, bereits fristgerecht Klage erhoben zu haben.
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2016 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2015 bis 03.04.2015 Betreuung Geld zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
III. Die Berufung zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Betreuungsgeld nach dem bayerischen Betreuungsgeldgesetz (BayBtGG) strittig, insbesondere ob die Leistung erst für Geburten ab 01.08.2012 gewährt wird.
Die Klägerin ist die Mutter der am 04.04.2012 geborenen L. Sie beantragte am 01.07.2016 schriftlich Bayerisches Betreuungsgeld für den 33. bis 36. Lebensmonat der Tochter (04.12.2014 bis 03.04.2015). Dabei bejahte sie alle Leistungsvoraussetzungen nach Art. 1 BayBtGG. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 04.07.2016 ab. Betreuungsgeld werde nicht für vor dem 01.08.2012 geborene Kinder gezahlt, vgl. § 27 Abs. 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2016 zurückgewiesen.
Der Beklagte übermittelte dem Sozialgericht München ein Schreiben der Klägerin vom 14.10.2016 an den Beklagten, in dem der Widerspruch begründet wurde, als Klage. Das Sozialgericht München bestätigte mit Schreiben vom 31.10.2016 an die Klägerin den Eingang der Klage. Nach Anfrage des Gerichts, ob denn eine Klage gewollt sei, teilte die Klägerin zeitnah mit, dass ihr Schreiben vom 14.10.2016 als Klage gelten solle. Die Klage wurde dahingehend begründet, dass das BayBtGG rückwirkend zum 01.01.2015 in Kraft getreten sei. Gemäß Art. 9 Abs. 1 dieses Gesetzes könne der Antrag bis 22.09.2016 rückwirkend gestellt werden, was geschehen sei. Einen Leistungsausschluss für Geburten vor 01.08.2012 gebe es nicht. Die diesbezügliche Regelung aus dem BEEG sei nicht anwendbar. Es sei auch kein Grund ersichtlich, Kinder schlechter zu behandeln, nur weil sie vor dem 01.08.2012 geboren seien.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 04.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2016 zu verurteilen, der Klägerin Betreuungsgeld für den 33. bis 36. Lebensmonat zuzüglich 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.07.2016 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.
Der Beklagte verweist darauf, dass das Bayerische Betreuungsgeld an die Stelle des vom BVerfG mit Urteil vom 21.07.2015, 1 BvF 2/13, für verfassungswidrig erklärten Bundesbetreuungsgeldes getreten sei. Die Rechtsfolgen des BayBtGG könnten nicht über die Regelungen der Bundesleistung hinausgehen. Die Stichtagsregelung in § 27 Abs. 3 Satz 1 BEEG, die vom BVerfG nicht aufgehoben worden sei, sei daher anzuwenden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist auch überwiegend begründet, weil die Klägerin einen Anspruch auf Betreuungsgeld für die Zeit von 01.01.2015 bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats von L., also bis 03.04.2015 hat. Es gibt keinen Leistungsausschluss für vor dem 01.08.2012 geborene Kinder.
1. Streitgegenstand dieser Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG ist der Anspruch der Klägerin auf Bayerisches Betreuungsgeld nach BayBtGG für den 33. bis 36. Lebensmonat ihrer Tochter L.
Für die versäumte Klagefrist ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Die Klagefrist beträgt nach § 87 SGG einen Monat ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. Der Widerspruchsbescheid vom 18.10.2016 wurde laut Aufgabevermerk am selben Tag als einfacher Brief zur Post gegeben. Er gilt gemäß § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag danach, also am 21.10.2016 als bekannt gegeben. Der Widerspruchsbescheid enthielt eine dem Gesetz entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung zur schriftlichen Klage binnen eines Monats ab Bek...