Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Terrorangriff im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Warten eines Kindes auf seine Familie. Miterleben eines Großeinsatzes von Polizei und Rettungskräften. Angst um aktuell gefährdete Familienangehörige. Schockschaden. Schutzbereich des OEG
Orientierungssatz
1. Die Sorge um Angehörige, von deren aktueller Gefährdung durch Flugzeugentführung, Terroranschlag, Amoklauf oder räuberischer Geiselnahme man aufgrund von Handybotschaften oder Medien weiß, wird als solche nicht vom OEG erfasst.
2. Ein 10-jähriger Junge, der am 22.7.2016 während des Terrorangriffs im Münchener Olympia-Einkaufszentrum im Freien darauf gewartet hat, dass seine Familie aus dem Einkaufszentrum herauskommt, und währenddessen Polizei- und Rettungsfahrzeuge sowie Hubschrauber sieht und Gesprächsfetzen über die Ereignisse wahrnimmt, hat keinen so schweren Schrecken erlebt, dass die Voraussetzungen für einen Schockschaden nach dem OEG gegeben sind.
3. Das Gericht kann den Kläger und seine Familie nur um Verständnis dafür bitten, dass der Schutzbereich des OEG hier seine Grenzen hat.
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 12.09.2017 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17.11.2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der am ...2006 geborene Kläger beantragte am 29.07.2016 eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Er und seine ganze Familie waren mittelbar von der Mordserie eines jugendlichen Rechtsradikalen am 22.07.2016 betroffen, die als OEZ-Amoklauf unvergessen ist. Der Kläger befand sich während der Mordserie in der Sporthalle des D.Gymnasiums und nahm an einem Fechttraining teil. Die Eltern und ihre Tochter befanden sich unmittelbar im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ). Eine telefonische Kontaktaufnahme zwischen dem Kläger und seiner Familie scheiterte wegen vermutlicher Überlastung der Netze. Der Kläger hörte und sah Polizei- und Rettungsfahrzeuge und Hubschrauber und nahm Gesprächsfetzen über die Ereignisse in OEZ wahr. Eine der Familie bis dahin fremde "Fechtmutter" nahm sich dann des Klägers an und wartete mit ihm, bis die Familie vor der Sporthalle eintraf.
Auf der Basis der anschaulichen Mitteilungen der Mutter des Klägers lehnte der Beklagte einen Anspruch nach dem OEG mit Bescheid vom 12.09.2017 ab. Zur Begründung wurde auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verwiesen, wonach der "Schockschaden" als Schädigungsfolge nur dann anerkannt werden könne, wenn eine psychische Gesundheitsstörung durch das unmittelbare Erleben als Augenzeuge einer Gewalttat verursacht wurde. Dies sei beim Kläger im Gegensatz zu seinen Familienangehörigen nicht der Fall gewesen.
Für den Kläger wurde hiergegen Widerspruch erhoben. Er habe sich zur fraglichen Zeit nicht mehr beim Fecht-Training befunden, sondern habe im Freien auf seine Familie gewartet. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2017 zurückgewiesen. Erneut wurde auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach der "Schockschaden" nur dann anzuerkennen und entschädigungsfähig ist, wenn eine Person entweder unmittelbar Zeuge eines Tatgeschehens wird oder aber durch die Benachrichtigung vom Tod oder der schweren Verletzung eines nahen Angehörigen ein Trauma erlitten hat.
Die Klage hält am Begehren einer Versorgung nach dem Ereignis vom 22.07.2016 fest. Sie verweist auf die gesundheitliche Schädigung des Klägers und die Notwendigkeit psychotherapeutischer Behandlung.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2017 zu Leistungen der Opferentschädigung zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig.
Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gibt demjenigen einen Anspruch auf staatliche Versorgung, der infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Auf das BVG wird verwiesen. § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG gebietet zur Prüfung des Anspruchs auf Beschädigtenrente die Beurteilung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolgen anerkannten körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen, S. 2 der Vorschrift. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 sind Vorübergehende Gesundheitsstörungen nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt nach § 30 Abs. 1 Satz 4 ein Zeit...