Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Blindheit. bayerisches Landesblindengeld. Merkzeichen Bl. zerebrale Störung des Sehvermögens. Wachkoma nach Schlaganfall. Nachweis von Blindheit auch bei minimalem Bewusstseinszustand. Sehvermögen unterhalb der Blindheitsschwelle. visuelle Agnosie
Leitsatz (amtlich)
Nachweis von Blindheit auch bei minimalem Bewusstseinszustand erforderlich (in Fortführung von BSG vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R = BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3)
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 19.06.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2012 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld ab 01.10.2011 streitig.
Der am XX.XX.1940 geborene und am XX.XX.2016 verstorbene Kläger Dr. C. (im Folgenden „ursprünglicher Kläger“) hatte am 03.10.2010 eine Hirnblutung erlitten. Die gesetzlichen Betreuer stellten für ihn am 16.10.2011 einen Antrag auf Gewährung von Blindengeld. Der Beklagte holte einen vorläufigen Arztbrief des Krankenhauses B. vom 21.02.2011 ein sowie einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. D., der am 30.10.2011 mitteilte, Blindheit könne nicht bestätigt aber auch nicht ausgeschlossen werden. Es läge ein apallisches Syndrom vor, der Patient reagiere auf Lärm. Des Weiteren zog der Beklagte ein Pflegegutachten bei und lehnte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit Bescheid vom 19.06.2012 den Antrag auf Gewährung von Blindengeld ab. Er führte darin aus, um Leistungen nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) erbringen zu können, sei der Nachweis einer entsprechend schweren Schädigung speziell der Sehstrukturen in Abgrenzung von einer generellen cerebralen Funktionsstörung erforderlich. Beim ursprünglichen Kläger bestünde ein apallisches Syndrom. Die visuelle Wahrnehmung sei nicht deutlich stärker betroffen als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Eine spezifische Störung des Sehvermögens lasse sich im Vergleich zu den eingeschränkten Gehirnfunktionen nicht feststellen. Im hiergegen eingelegten Widerspruch wurde ausgeführt, das Erkennen-Können sei nicht mehr möglich. Dem ursprünglichen Kläger sei es nur möglich, seinen Tastsinn in Maßen einzusetzen. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2012 zurück und führte aus, es läge eine schwere Schädigung der zentralen Sehstruktur auf der linken Seite des Gehirns vor, die Sehstruktur auf der rechten Seite des Gehirns würde keine hochgradige Schädigung aufweisen, sodass auch durch die Bildgebung nicht der Nachweis einer cerebralen Blindheit erbracht werden könne.
Hiergegen wurde am 02.01.2013 Klage zum Sozialgericht München erhoben und ausgeführt, durch die Blutung sei auch der Sehnerv selbst betroffen. Augenärztliche Untersuchungen seien nicht geeignet, die Schädigung des Sehapparates auszuschließen. Das Gericht hat von Amts wegen einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. D. eingeholt, der mitteilt, es bestünde keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Patienten. Des Weiteren wurden Befundberichte des Augenarztes Dr. F. sowie des Neurologen Dr. E. eingeholt. Dr. E. berichtet von einer inkompletten Tetraplegie, einer Dysphagie sowie einer Aphasie, die bei einer Untersuchung am 03.11.2011 festgestellt worden sei. Das Gericht hat den ursprünglichen Kläger anschließend am 28.11.2013 und 06.02.2014 durch den Neurologen Dr. H. untersuchen lassen. Der Sachverständige stellt zusammenfassend fest, dass aufgrund der homonymen Hemianopsie eine Störung des „Erkennen-Könnens“ vorliege, keine Störung des „Benennen-Könnens“. Der Patient befände sich nicht in einem apallischen Syndrom sondern in einem minimalen Bewusstseinszustand (MCS). Von Seiten des Gehirns sei er prinzipiell in der Lage, auf einem niedrigen Niveau bewusst zu sehen. Aufgrund der Kombination einer Hemianopsie und zusätzlicher beidseitiger Linsentrübung sei er in einem so hohen Grade beeinträchtigt, dass die Beeinträchtigung einer Sehstörung von kleiner 1/50 und damit einer Blindheit gleichzusetzen sei.
In seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme zum Gutachten führt der Beklagte aus, nach Auskunft des behandelnden Arztes Dr. F. vom 25.04.2013 habe die zuletzt erhobene Sehschärfe am besseren rechten Auge 0,7 betragen. Um bei einer Sehschärfe von 0,7 Blindheit bejahen zu können, müsste gleichzeitig eine Einengung des Gesichtsfeldes auf mindestens 5° Abstand vom Zentrum vorhanden sein. Dies sei jedoch nicht nachgewiesen. Bezüglich der faktischen Blindheit im Sinne des BSG-Urteils vom 20.07.2005 sei festzustellen, dass die visuelle und die akustische Wahrnehmungsfähigkeit sich auf etwa gleich niedrigem Niveau befänden. Ein besseres Wahrnehmungsvermögen im Bereich des Hörens sei auszuschließen, so dass auch faktische Blindheit weder nachgewiesen noch wahrscheinlich sei. In seiner ergänzende...