Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeld II. teilweise Verfassungswidrigkeit der Sanktionsregelungen nach Urteil des BVerfG. keine Härtefall- oder Wohlverhaltensprüfung für vor dem 5.11.2019 abgelaufene Minderungszeiträume
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Sanktion nach § 31 SGB II sind Härtefall und Wohlverhalten nach den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 = NJW 2019, 3703 nicht zu prüfen, wenn der Sanktionszeitraum vor dem 5.11.2019 abgelaufen ist.
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 19. Februar 2018 Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2018 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Sanktion in Höhe von 30 % des Regelbedarfs nach § 31 Abs. 1 SGB II wegen unzureichenden Eigenbemühungen um eine neue Beschäftigung.
Der 1982 geborene alleinstehende Kläger bezieht seit Jahren laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II vom Beklagten. Von Februar bis August 2017 war der Kläger als Lagerhelfer erwerbstätig und bezog keine Leistungen. Ab September 2017 wurde dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 27.09.2017 Arbeitslosengeld II von monatlich 700,98 Euro bewilligt. Im September bewarb sich der Kläger bei seinem früheren Arbeitgeber und teilte dem Beklagten mit, dass er vorrangig dort arbeiten wolle.
Mit Eingliederungsvereinbarung vom 13.11.2017, gültig ab 13.11.2017 bis auf weiteres, vereinbarten die Beteiligten als Ziel die nachhaltige Integration des Klägers in den ersten Arbeitsmarkt. Für den Fall, dass die bisherige Arbeitssuche des Klägers bis 30.11.2017 ohne Erfolg bleibe, wurde Folgendes vereinbart: Der Kläger verpflichtete sich unter anderem dazu, monatlich acht Bewerbungsbemühungen zu tätigen und nachzuweisen, erstmals Anfang Januar 2018. Im Gegenzug verpflichtete sich der Beklagte, die Bewerbungsaktivitäten zu unterstützen durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt beantragt werde.
Weil der Kläger einen Meldetermin am 11.12.2017 verpasste, erfolgte mit Bescheid vom 19.01.2018 eine Minderung des Arbeitslosengelds II um monatlich 10 % des Regelbedarfs für die Monate Februar, März und April 2018. Mit Bescheid vom 19.02.2018 erfolgte eine weitere Minderung des Arbeitslosengelds II um monatlich 10 % des Regelbedarfs für die Monate März, April und Mai 2018, weil der Kläger am 20.12.2017 zu einem Bewerbertag nicht erschienen sei. Nach Widerspruch wurde der Sanktionsbescheid vom 19.02.2018 mit Abhilfebescheid vom 14.12.2018 aufgehoben.
Weil der Kläger keine Bewerbungen nachwies, erfolgte mit Schreiben vom 26.01.2018 eine Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion mit Hinweis darauf, ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erhalten zu können. Mit Bescheid vom 19.02.2018 erfolgte eine Minderung des Arbeitslosengelds II um monatlich 30 % des Regelbedarfs (124,80 Euro) für März, April und Mai 2018. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, er könne von dem verbliebenen Geld nicht leben und er habe auch eine Darmerkrankung, weswegen er eine besondere Ernährung benötige. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2018 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger erhob bereits am 27.02.2018 Klage gegen die Sanktion von 30 % zum Sozialgericht München. Er suche sich selber eine Arbeitsstelle und könne sich die Kürzung nicht erlauben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Sanktionsbescheid vom 19.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2018 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist aber unbegründet, weil der strittige Sanktionsbescheid dem Gesetz entspricht und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Statthaft ist die reine Anfechtungsklage auf Aufhebung der Sanktion nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 30/15 R, Juris Rn. 10). Bei einer Sanktion, die auf einem Pflichtverstoß gegen eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 2 SGB II beruht, erfolgt eine Inzidenzprüfung dieser Eingliederungsvereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag gemäß §§ 53 ff SGB X (BSG, a.a.O., Rn. 15). Eine Eingliederungsvereinbarung wird lediglich auf Nichtigkeit gemäß § 58 SGB X überprüft. Nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 SGB X führt eine sonstige Rechtswidrigkeit nur dann zu einer Nichtigkeit, wenn diese Rechtswidrigkeit beiden Vertragschließenden bekannt war.
a) Der Sanktionstatbestand nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist erfüllt, weil der Kläger sich weigerte, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. In der Eingliederungsvereinbarung vom 13.11.2017 wurden acht Bewerbungen pro Monat vereinbart. Der Kläger hat keine einzige Bewerbung nachgewiesen. Die Bewerbungsbemühungen war...