Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Untätigkeitsklage wegen Nichtbearbeitung eines Widerspruchs gegen einen Sozialleistungsbescheid. Kostentragungspflicht des Sozialleistungsträgers. Personalmangel als ausreichender Entschuldigungsgrund für Verfahrensverzögerungen
Orientierungssatz
Hat ein Sozialleistungsträger über den Widerspruch eines Leistungsempfängers gegen einen Sozialleistungsbescheid mehr als neun Monate nicht entschieden, ohne dass sie dem Betroffenen die Gründe für die Verzögerung in der Bearbeitung dargelegt hat, so ist einer Untätigkeitsklage des Betroffenen stattzugeben bzw. ist im Erledigungsfall dem Sozialleistungsträger die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Dabei genügt allein ein von der Behörde geltend gemachter Personalmangel bei der Bearbeitung nicht dafür, die Verzögerung in der Bearbeitung zu entschuldigen.
Tenor
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang ( = 100 %).
Gründe
I.
Dieser Entscheidung liegt als Verfahren zugrunde die mittlerweile erledigte Untätigkeitsklage S 14 R 29/21 , mit der der Kläger geltend machte, die Beklagte habe nicht in der 3-Monats-Frist i.S.v. § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über seinen Widerspruch gegen die Ablehnung einer Erwerbsminderungsrente entschieden.
Am 28.08.2019 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, der mit Bescheid der Beklagten vom 27.02.2020 abgelehnt und gegen den rechtzeitig im Frühjahr 2020 vom Kläger Widerspruch eingelegt wurde. Eine Entscheidung über diesen Rechtsbehelf erging erst durch teilweise abhelfenden Bescheid der Beklagten vom 15.04.2021 mit Bewilligung der vollen EM-Rente auf Dauer ab einem Zeitpunkt im Dezember 2018.
Am 13.01.2021 hat der Kläger Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht (SG) Münster zum Az. S 14 R 29/21 erhoben. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe keinen sachlichen Grund dafür, dass der beratungsärztliche Dienst erst mehrere Monate nach Eingang der Widerspruchsbegründung in seinen Schriftsätzen vom Juni 2020 bzw. Juli 2020 eingeschaltet worden sei. Die Beklagte führte dagegen auf Nachfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 12.04.2021 u.a. namentlich für einem Zeitraum der Untätigkeit bei der beraterärztlichen Überprüfung vom 24.11.2020 bis 27.01.2021 aus, es sei zu berücksichtigen, dass "es in Spitzenzeiten dazu kommen könne, dass das Personal beim beratungsärztlichen Dienst vorübergehend nicht ausreicht , um alle ärztlichen Unterlagen , die eingereicht werden, zeitnah zu sichten und eine Entscheidung zu treffen."
Mit Schriftsatz vom 23.04.2021 erklärte der Kläger angesichts des nun vorliegenden Rentenbescheides die Untätigkeitsklage für erledigt und beantragte, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte S 14 R 29/21 , SG Münster, Bezug genommen.
II.
Über die Kostenerstattungspflicht der Beteiligten ist gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG durch Beschluss zu entscheiden, da das Verfahren am 26.04.2021 durch eine Erledigungserklärung im Sinne des § 88 Abs. 2 iVm Abs. 1 Satz 3 SGG beendet wurde. Mit Schriftsatz vom 23.04.2021 stellte der Kläger-Bevollmächtigte zudem ausdrücklich gerichtlichen Kostenantrag.
Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht nach § 193 Abs. 1 SGG ergeht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SSG, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 13 mwN). Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage sowie die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung maßgeblich. Das Gericht hat bei der Ermessensentscheidung alle Umstände des Einzelfalles unter Beachtung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens zu berücksichtigen. Daher ist das voraussichtliche Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens nicht das allein wesentliche Entscheidungskriterium, sondern in die Entscheidung können auch Gesichtspunkte wie die Veranlassung des Rechtsstreits, die Verursachung unnötiger Kosten und die Anpassungsbereitschaft an eine geänderte Rechts- oder Sachlage eingehen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 12b mwN).
Handelt es sich bei dem erledigten Streitverfahren um eine Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG, so fallen die Kosten dann der Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, aaO., § 193 Rn. 13c). Zu prüfen ist, ob der Kläger berechtigterweise die Gerichte in Anspruch genommen hat, um eine unangemessene Verzögerung der Bearbeitung seines Antrages zu verhindern (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, aaO., § 193 Rn. 12b). Dies gilt insbesondere dann, wenn innerhalb angemessener Frist kein Bescheid ergangen ist und für den Kläger aufgrund des Verhaltens der Beklagten nicht erkennbar ist, welche Gründe für die Verzögerung bestehen und ob in absehb...