Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Erstattung von Vorverfahrenskosten. Kostenfestsetzungsverfahren. keine Berücksichtigung von materiell-rechtlichen Einwendungen. keine Verpflichtung des Widerspruchsführers zur Erhebung der Verjährungseinrede
Orientierungssatz
1. Materiell-rechtliche Einwendungen, soweit sie zwischen den Beteiligten nicht unstreitig sind, sind im Kostenhöhenstreit nicht zu berücksichtigen.
2. Auch im behördlichen Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 63 SGB 10 und im nachfolgenden Rechtsstreit sind keine materiell-rechtlichen Einwendungen zu berücksichtigen, weil damit ein gleicher Prüfungsumfang wie im Kostenfestsetzungsverfahren aufgrund einer gerichtlichen Kostenlastentscheidung gewährleistet wird.
3. Die Behörde kann deshalb nicht damit gehört werden, dass es sich bei den in Rechnung gestellten Gebühren und Auslagen nicht um notwendige Aufwendungen handeln würde, weil der Widerspruchsführer verpflichtet sei, nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens, also nachdem die Rechtsanwaltsgebühren und -auslagen bereits angefallen sind, dem dann gemäß § 8 RVG fälligen Vergütungsanspruch die Einrede der Verjährung entgegenzuhalten.
4. Selbst wenn aber die Einrede der Verjährung im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu berücksichtigen wäre, kann dies insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und wegen des Eingriffs in die Dispositionsfreiheit des erstattungsberechtigten Widerspruchsführers nicht ausnahmslos gelten.
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 14. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2017 (Az. W 59/17) wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin von den anwaltlichen Kosten in Höhe von 99,96 € freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt 25 % der der Klägerin entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2017. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob die ursprünglich infolge der anwaltlichen Vertretung im Widerspruchsverfahren (W 358/12) angefallenen Rechtsanwaltskosten noch notwendige Aufwendungen im Sinne von § 63 SGB X sein können, weil die Klägerin nunmehr gegenüber ihrer Rechtsanwältin die Einrede der Verjährung erheben könnte.
Die am ... 1978 geborene Klägerin ist Mutter von zwei Kindern, mit denen sie eine Bedarfsgemeinschaft bildet. Sie und ihre Kinder beziehen seit mehreren Jahren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - vom Beklagten.
Mit dem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Änderungsbescheid vom 7. Februar 2011 wurden der vorgenannten Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Mai 2011 Leistungen in Höhe von 144,33 € bewilligt. Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 24. Februar 2011 eingelegte Widerspruch (W 358/12). Das Schreiben der o. g. Rechtsanwältin umfasste drei Seiten. Eine Vollmacht war trotz Ankündigung nicht beigefügt. Am selben Tag legte die o. g. Rechtsanwältin weitere Widersprüche gegen eine Vielzahl anderer Bescheide ein.
Im Widerspruchsverfahren (W 358/12) wies der Beklagte mit seinem an die Rechtsanwältin adressierten und im Übrigen auch seinem Wortlaut nach direkt an diese gerichteten Schreiben vom 13. April 2011 darauf hin, dass der o. g. Änderungsbescheid bereits nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens (Widerspruch vom 22. November 2010) gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 17. November 2010 für die Monate Dezember 2010 bis Mai 2011 geworden sei. Die Begründung des unzulässigen Widerspruchs werde deshalb als Äußerung zu dem o. g. Änderungsbescheid gewertet. In dem Schreiben des Beklagten heißt es abschließend: “… Die Ihnen für die Einlegung des Widerspruchs entstandenen Kosten werden, soweit sie notwendig waren, auf Antrag erstattet."
Mit dem Schreiben vom 21. April 2011, welches am 12. Dezember 2016 bei dem Beklagten eingegangen ist, stellte die Rechtsanwältin dem Beklagten Gebühren und Auslagen nebst Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 386,75 € (Geschäftsgebühr - erhöht um 60 % wegen drei Auftraggebern- nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) in Rechnung (vgl. wegen der Einzelheiten die genannte Rechnung).
Mit dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 14. Dezember 2016 lehnte der Beklagte die Erstattung der geltend gemachten Kosten ab. Der Beklagte führte aus, dass das Widerspruchsverfahren W 358/12 im Jahr 2011 abgeschlossen worden sei. Damit sei noch in diesem Jahr der Vergütungsanspruch gegen die Klägerin fällig geworden. Dieser Anspruch der Rechtsanwältin gegenüber der Klägerin sei mit Ablauf des Jahres 2014 verjährt.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 17. Januar 2017 (W 59/17). Der Beklagte könne sich nicht auf die Einrede der Verjährung des Vergütungsanspruches berufen. Der Kostenfestsetzungsanspruch verjähre üb...