Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen. keine Anwendung von § 48 SGB 10 auf Erstattungsbescheide. Beschränkung der Minderjährigenhaftung. Eintritt der Volljährigkeit nach Bestandskraft des Erstattungsbescheids. Geltendmachung der Haftungsbeschränkung mittels Feststellungsklage. Umfang der Haftung. Vermögen zur Erlangung eines Führerscheins. Neubeginn der Verjährung durch Vereinbarung von Ratenzahlungen. Zurechnung von Erklärungen der Eltern
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Erstattungsbescheid über Leistungen nach dem SGB II ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der nach § 48 SGB X aufhebbar wäre.
2. Wird der Adressat eines bindenden Erstattungsbescheids volljährig, kann er die Minderjährigenhaftungsbeschränkung mit der Feststellungsklage geltend machen.
3. Der volljährig Gewordene haftet auch mit Vermögen, das er für den Erwerb eines Führerscheins verwenden soll.
4. Handlungen der Eltern eines Minderjährigen, die zum Neubeginn der Verjährung einer Forderung gegen den Minderjährigen führen, wirken auch nach Eintritt der Volljährigkeit für und gegen ihn.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Durchsetzung eines bestandskräftigen Erstattungsbescheids bezüglich Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Die 2002 geborene Klägerin stand beim zuletzt beklagten Jobcenter (Beklagter) im Leistungsbezug. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. September 2015 forderte er die Erstattung von 3.182,86 € für den Zeitraum 8. Juni 2011 bis 31. März 2015.
Bis zum 31. Dezember 2021 waren die Aufgaben des Inkasso SGB II und die Bearbeitung von gerichtlichen Verfahren in diesem Bereich auf die Bundesagentur für Arbeit (BA) übertragen. Mit Schreiben vom 27. Februar 2017 erinnerte die Agentur für Arbeit (AfA) R, Inkasso-Service der BA (nachfolgend: Inkasso-Service), die Klägerin über ihren Vater an die Zahlung der Erstattungsforderung und setzte ein Mahngebühr fest. Hierauf vereinbarte die Klägerin, vertreten durch ihren Vater, im März 2017 Ratenzahlungen. Mit Schreiben vom 15. August und 13. September 2017 sowie vom 14. März 2019 mahnte der Inkasso-Service die Klägerin wegen ausstehender Raten. Mit Schreiben des Inkasso-Services vom 20. März 2019 erklärte sich dieser gegenüber dem Vater der Klägerin wiederum mit einer Tilgung der Schuld der Klägerin durch Ratenzahlungen einverstanden.
Am 21. September 2020 berief sich die Klägerin gegenüber dem Beklagten hinsichtlich einer noch offenen Forderung in Höhe von 2.778,86 € auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung. Auf Aufforderung durch den Inkasso-Service vom 8. Oktober 2020 wies die Klägerin 1.867,28 € als Wertpapiere und 0,08 € als Geldvermögen nach. Hierauf teilte der Inkasso-Service mit Schreiben vom 18. November 2020 mit, dass die „Einrede nur teilweise“ greife und die Klägerin für eine Forderung in Höhe von 1.867,36 € hafte.
Hiergegen erhob die Klägerin entsprechend der im Schreiben vom 18. November 2020 gegebenen Rechtsbehelfsbelehrung am 14. Dezember 2020 beim Inkasso-Service Widerspruch. Die BA, AfA B, wies denselben mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2021 als unbegründet zurück.
„Gegen den Bescheid vom 18. November 2020 in Form des Widerspruchsbescheids vom 7. Januar 2021“ hat die Klägerin am 28. Januar 2021 gegen den Inkasso-Service Klage erhoben. Mit Schreiben vom 25. Januar 2022 hat die AfA B mitgeteilt, dass ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden habe. Der Beklagte hat sodann das Verfahren fortgeführt.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin insbesondere vor: Das Vermögen sei von ihren Eltern zur Erlangung eines Führerscheins angespart worden und damit zweckgebunden. Es sei treuhänderisch verbunden und aufgrund vertraglicher Abrede mit dem Vater zweckgebunden. In diesem Sinne sei die Pfändbarkeit des Vermögens insofern eingeschränkt, als dass hiermit Leistungen zur Erlangung des Führerscheins abgedeckt werden sollten. Zu diesen sei der Beklagte in sozialrechtlicher Hinsicht im Sinne eines Leistungsanspruchs verpflichtet. Insofern wäre die Erlangung des Führerscheins mit dem vorstehenden Vermögen gedeckt. Es sei vom Sinn und Zweck der Alimentierung und des Sinns von Fordern und Fördern insofern unsachgemäß und dem Zweck der Vorschrift zuwiderlaufend, dass diese zweckgebundenen Vermögensteile nun für Altschulden einstünden, zu denen sie einfach als Mitglied der damaligen Bedarfsgemeinschaft keinen Verschuldensbezug habe und zu deren Entstehungszeitpunkt sie minderjährig gewesen sei. Die Einrede betreffe bereits die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids. Hinsichtlich der Verjährung dürften verjährungsunterbrechende Handlungen ihres Vaters während ihrer Minderjährigkeit nicht zu ihrem Nachteil gereichen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 18. November 2020 in Gestalt des Widerspruc...