Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. angemessene Lernförderung. Teilleistungsschwäche. Legasthenie. Form der Lernförderung und Förderungsdauer. wesentliches Lernziel. Abgrenzung zu anderen Leistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die nach § 28 Abs 1, 5 SGB 2 als Bedarf für Bildung und Teilhabe zu berücksichtigende "schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung" ist nicht auf Nachhilfe im engeren Sinne und für einen kurzfristigen Zeitraum beschränkt. Erfordert - wie bei der Teilleistungsschwäche Legasthenie - die Art der Störung eine besondere Form der Lernförderung, ist diese ebenfalls davon umfasst, und zwar auch dann, wenn sie notwendig längere Zeit in Anspruch nimmt.
2. Die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele erschöpfen sich nicht in der Versetzung in die nächste Klassenstufe. Um die gesetzgeberisch bezweckte Chancengleichheit von Kindern aus gering bemittelten Familien zu fördern, ist vielmehr eine Enzelfallentscheidung zu treffen, die sich an den individuellen Kompetenzen des betreffenden Schülers orientiert.
3. Zur Abgrenzung gegenüber Ansprüchen gegen den Schulträger, nach § 35a Abs 1 SGB 8 und § 53 Abs 1 SGB 12.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2012 und des Bescheides vom 25. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013 verurteilt, dem Kläger 1.305,00 € für Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II zu zahlen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der im … 2002 geborene, durch seine Mutter vertretene Kläger begehrt von dem Beklagten die Übernahme von Kosten seiner Legasthenie-Therapie im Schuljahr 2012/13 im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Auf einen ersten, zu Beginn seines 4. Schuljahres 2011/12 gestellten Antrag hatte der Beklagte nach Vorlage eines fachärztlichen Attestes nach testpsychologischer Untersuchung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie T. (Diagnose: Lese-/Rechtschreibstörung von Krankheitswert bei durchschnittlichen allgemeinen Lern- und Leistungsmöglichkeiten) sowie eines Vertrages mit der Diplom-Lehrerin und Legasthenie-Therapeutin A. L. mit Bescheid vom 14. März 2012 Lernförderung für dieses Schuljahr bewilligt.
Am 27. Juni 2012 stellte der Kläger, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag für das folgende 5. Schuljahr. In diesem wechselte er von der Grund- zur Regelschule. Er legte eine Bestätigung der Schule vor, wonach weiterhin ein zusätzlicher individueller Lernförderbedarf im Unterrichtsfach Deutsch wegen Lese-/Rechtschreibschwäche/Legasthenie bestehe. Es sei Einzelunterricht bei Frau L. erforderlich, da keine qualifizierte Fachkraft an der Schule vorhanden sei. Vorgelegt wurde weiter das Abschlusszeugnis der 4. Klasse, aus dem sich im Wesentlichen, insbesondere auch im Fach Deutsch gute, lediglich in Mathematik und Sport befriedigende Leistungen ergaben.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 ab. Bei dem Nachhilfebedarf des Klägers handele es sich nicht um eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung, ohne die im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II das Erreichen der wesentlichen Lernziele gefährdet wäre.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Schule habe ausführlich erläutert, dass die notwendige Lernförderung dort nicht durchgeführt werden könne, sondern eine spezielle Legasthenie-Therapie erforderlich sei. Sie sei auch notwendig, um das Klassenziel zu erreichen, und nicht nur zur Notenverbesserung. Die erzielte Verbesserung der Schulnote in Deutsch habe er durch extreme Fleißarbeit im Bereich mündlicher Zusatzaufgaben erreichen können; der Durchschnitt der Klassenarbeiten entspreche der Note 4. Bei Abbruch der Förderung seien schnell wieder die ursprünglichen Probleme zu erwarten, während die Defizite nach Abschluss des Lernförderprogramms in ca. 1 Jahr langfristig minimiert wären. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2012 zurück. Bei einem Notendurchschnitt von 2,22 auf dem Abschlusszeugnis der 4. Klasse könne von einem Nichterreichen der festgesetzten Lernziele nicht ausgegangen werden. Von daher sei eine Lernförderung nach dem SGB II nicht gerechtfertigt.
Dagegen hat der Kläger am 7. Dezember 2012 Klage erhoben.
Am 24. Januar 2013 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Lernförderung und fügte dem eine Bestätigung der Schule vom 5. Februar 2013 bei, in dem - neben dem früheren Hinweis, dass ein Einzelunterricht bei Frau L. erforderlich sei, da keine qualifizierte Fachkraft an der Schule vorhanden sei - ausdrücklich erklärt wurde: “Förderung in der Schule wenig hilfreich! siehe Anlage! nur eine langfristige, kontinuierliche Therapie bringt Erfolg!„. Beigefügt war ein Auszug aus dem Internet-Aufritt des Bundesverbandes für Legasthenie und Dyskalkulie zu den Förderansätzen bei Legasthenie....