Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. häusliche Pflege. Pflegegeld. alte Pflegestufe 0. Weitergewährung der Leistungen über den 31.12.2016 hinaus bis zum Abschluss des Verfahrens zur Ermittlung und Feststellung des Pflegegrades und des notwendigen pflegerischen Bedarfs. Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der ersten Neufeststellungsentscheidung der Verwaltung. Eingriff in bereits bewilligte Zeiträume. Erforderlichkeit eines Aufhebungsbescheides für die Zukunft. Weitergewährung maximal bis zum Ende des Bewilligungszeitraums
Orientierungssatz
1. § 138 S 1 SGB 12 ist im Wege der Auslegung teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Vorschrift nur einen Rechtsgrund für das endgültige Behaltendürfen der bisherigen Leistungen bietet bis zur ersten Neufeststellungsentscheidung der Verwaltung.
2. Greift die Neufeststellung in bereits bewilligte Zeiträume ein, so muss eine Korrektur des vorgängigen Bescheides gemäß § 48 SGB 10 für die Zukunft erfolgen.
3. § 138 S 1 SGB 12 ist teleologisch auch dahingehend reduziert auszulegen, dass er einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der bisherigen Leistungen nur maximal so weit bieten kann, als der vorgängige Bescheid reicht, also bei einem unbefristeten Bewilligungsbescheid bis zur ersten Neufeststellungsentscheidung, bei einem befristeten Bewilligungsbescheid maximal bis zum Ende des Bewilligungszeitraumes.
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern im Rahmen der Hilfe zur Pflege Pflegegeld in Höhe von monatlich insgesamt € 371,42 für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis einschließlich 31.07.2017 vorläufig und vorbehaltlich einer endgültigen Entscheidung im Klageverfahren S 20 SO 52/19 zu gewähren und zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
III. Die Antragsgegnerin trägt ein Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller dem Grunde nach.
IV. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.
V. Den Antragstellern wird ab Antragstellung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz um die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 01.04.2017.
I.
Der Antragsteller zu 1) ("AS1") ist 1939 geboren und russischer Staatsangehöriger. Er ist mit der Antragstellerin zu 2) ("AS2") verheiratet, die 1940 geboren ist und ebenfalls die russische Staatsangehörigkeit besitzt. Sie bewohnen zusammen mit O.G. (geb. 1969, Tochter) und J.A. (geb. 2001, Enkelin) ihre gemeinsame Wohnung (3,5 Zimmer; Grundmiete € 446,18, Nebenkosten € 221,00, Heizkosten € 102,00, Stand bis 31.12.2016, ab 01.01.2017 € 687,12 warm) und beziehen jeweils eine russische Rente. Die Antragsgegnerin ("AG") gewährt den Antragstellern ("AS") aufstockende, laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII, einschließlich eines Mehrbedarfs des AS1 wegen eiweißdefinierter Kost infolge Niereninsuffizienz.
Beide AS sind über § 264 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bei der AOK Bayern gemeldet und nicht pflichtversichert.
1.
Aufgrund eines MDK-Gutachtens vom 02.05.2007 erhielt des AS1 ab dem 30.04.2007 ein Pflegegeld der Stufe "0" in Höhe von damals monatlich € 161,72 bei einem berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf von 71 Minuten täglich und Pflege durch die AS2, zuletzt ab 01.01.2015 € 192,49.
Aufgrund eines MDK-Gutachtens vom 18.11.2011 erhielt die AS2 ab dem 20.11.2011 ein Pflegegeld der Stufe "0" in Höhe von damals monatlich € 165,00, ab 1/12 € 172,33 und zuletzt ab 01.01.2015 von € 178,93 monatlich bei Pflege durch O.G..
Die letzte Weiterbewilligung des Pflegegeldes für die beiden AS erfolgte durch Bescheid vom 12.07.2016 für den Weiterbewilligungszeitraum vom 01.08.2016 bis einschließlich 31.07.2017 in der seit 01.01.2015 festgesetzten Höhe und unter weiterer Zugrundelegung durch die beiden vorgenannten MDK-Gutachten.
Mit Schreiben vom 22.12.2016 teilte die AG den AS mit, dass durch das sog. Pflegestärkungsgesetz III ab dem 01.01.2017 Rechtsänderungen anstünden, wobei die bisherigen Pflegestufen 1 bis 3 automatisch in die neuen Pflegegrade 2 bis 5 übergeleitet würden. Leistungen unterhalb des Pflegegrades 1 werde es künftig nicht mehr geben. Da die AS bislang aber Leistungen unterhalb der Pflegestufe 1 (nämlich Pflegestufe "0") erhalten hätten, werde eine Prüfung des Pflegegrades durch den MDK in die Wege geleitet. Es werde im Hinblick auf die Mitwirkungspflichten der AS um deren Mitwirkung gebeten, andernfalls Leistungen aus diesem Grunde auch versagt werden könnten gem. §§ 60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).
Der MDK erstellte am 20.03.2017 für den AS1 ein Pflegegutachten aufgrund eines Hausbesuchs. Pflegebegründende Diagnosen seien eine Stuhlinkontinenz und eine Skoliose. Die Summe der gewichteten Punkte betrage 10,00 und beruhe ausschließlich auf dem Bereich der Selbstversorgung. Danach ergebe sich kein Pfleg...