Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. anderes Aufenthaltsrecht. kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht für Familienangehörige bei fehlenden ausreichenden Unterhaltsleistungen durch das freizügigkeitsberechtigte Kind
Leitsatz (amtlich)
Ein nur von der Tochter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs 1, § 3 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) setzt deren unmittelbare und ausschließliche Unterhaltsgewährung voraus, um ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht zu vermitteln.
Tenor
I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Frau Rechtsanwältin T., B-Straße, A-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Streit.
Die 1964 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste im September 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und nimmt seit 11.12.2017 am Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt "E." der N. A. gGmbH in N. teil, welches mittlerweile bis Ende 2018 verlängert worden sei.
Nach der Meldebestätigung aus der Verwaltungsakte war die Antragstellerin seit 12.04.2017 in der im Antrag genannten Wohnung gemeldet. Sie bewohnt diese zusammen mit Ihrer damals mit eingereisten Tochter E. (geb. 1987), ebenfalls bulgarischer Staatsangehörigkeit, und werde von dieser unterhalten. Eigenes Einkommen, etwa aufgrund einer Arbeitstätigkeit oder als Unterhalt vom geschiedenen Ehemann, habe sie nicht. Die Tochter ist beim Antragsgegner aktuell im Leistungsbezug. Im vorgelegten Leistungsbescheid nach SGB II wurde eine Teilzeitbeschäftigung angerechnet und die Unterkunfts- und Heizkosten aufgrund des Zusammenlebens mit der Mutter nur hälftig berücksichtigt.
Die Antragstellerin beantragte am 05.01.2018 erstmals Arbeitslosengeld II (ALG II) beim Antragsgegner. Im Antrag gab sie an, mietfrei bei der Tochter zu wohnen. Der Antrag wurde mit Verweis auf ein Aufenthaltsrecht nur zum Zweck der Arbeitssuche durch Bescheid vom 09.01.2018 abgelehnt. Der Widerspruch vom 16.01.2018 wurde am 23.04.2018 durch Widerspruchsbescheid (347/18) aufgrund Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II als unbegründet zurückgewiesen.
Am 26.06.2018 beantragte die Antragstellerin erneut ALG II-Leistungen. Mietkosten wurden erstmals geltend gemacht. Der Ablehnungsbescheid vom 27.06.2018 erging ebenfalls unter Verweis auf den o.g. Ausschlussgrund. Der dagegen eingelegte Widerspruch vom 05.07.2018 (W 2125/18) wurde bislang noch nicht beschieden. Die Antragstellerin ergänzte am 15.08.2018 die Widerspruchsbegründung und stellte zugleich einen Antrag auf Überprüfung des Ablehnungsbescheids vom 09.01.2018 gemäß § 44 SGB X.
Am 28.08.2018 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Nürnberg beantragt. Die Antragstellerin sei leistungsberechtigt, das Existenzminimum beider Frauen erheblich unterdeckt. Die Antragstellerin meint, sie besitze ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU) bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügigkeitsG/EU. Die Unterhaltsgewährung der Tochter sei dazu ausreichend, da diese aus ihrem Verdienst und den Aufstockungsleistungen die gesamten Unterkunfts- und Heizkosten der gemeinsamen Wohnung übernehme und für ihre Ernährungs- und Krankheitskosten aufkomme. Sie verweist auf zwei vergleichbare Urteile (LSG Nordrhein-Westfalen, Az. L 7 AS 1512/17 vom 22.03.2018 und SG Augsburg, Az. S 8 AS 1071/17 vom 20.10.2017). Ausreichend für einen Leistungsanspruch sei, wenn, wie hier, nur eine Unterhaltsgewährung im geringfügigen Umfang erfolgen könne. Ein Leistungsausschluss nach SGB II läge nicht vor, deshalb kämen Leistungen nach SGB XII nicht in Betracht.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung aufgrund des Widerspruchs vom 05.07.2018 gegen den Ablehnungsbescheid vom 27.06.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung der hälftigen Unterkunfts- und Heizkosten für die Wohnung A-Straße, A-Stadt in Höhe von 272,50 € zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es liege kein Freizügigkeitsgrund nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügigkeitsG/EU (niedergelassene selbständige Erwerbstätige) vor, denn dafür genüge allein die Möglichkeit der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht. Diese sei vielmehr tatsächlich auszuüben. Dies belege die Legaldefinition und ein Vergleich mit der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügigkeitsG/EU. An einer tatsächlichen Ausübung fehle...