Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Anspruch einer geschiedenen Mutter auf Kindergeld nach Versterben des Vaters und Wohnsitzwechsel ins EU-Ausland. Erziehungsrente als vermittelnde Rentenart für einen Anspruch auf Familienleistungen nach EU-Recht. Erziehungsrente keine Rente iS des Art 77 EWGV 1408/71. keine Familienleistungen nach Art 78 EWGV 1408/71 für nicht vom Verstorbenen abstammende Kinder. Familienleistungen für Rentner nach Art 67 S 2 EGV 883/2004
Orientierungssatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) werden zur Vorabentscheidung folgende Fragen vorgelegt:
1. Sind Art 77 oder Art 78 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (juris: EWGV 1408/71) dahingehend auszulegen, dass der Bezug einer Erziehungsrente den Anspruch gegen den Mitgliedstaat, der die Rente zahlt, vermittelt?
2. Hat sich ab 1.5.2010 mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr 883/2004 (juris: EGV 883/2004) etwas geändert und ist Art 67 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 dahingehend auszulegen, dass jede Rentenart (auch eine deutsche Erziehungsrente) den Anspruch auslöst?
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) werden zur Vorabentscheidung folgende Fragen vorgelegt:
“Sind Art. 77 oder 78 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 dahingehend auszulegen, dass der Bezug einer Erziehungsrente den Anspruch gegen den Mitgliedstaat, der die Rente zahlt, vermittelt?
Hat sich ab 01.05.2010 mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 etwas geändert und ist Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dahingehend auszulegen, dass jede Rentenart (auch eine deutsche Erziehungsrente) den Anspruch auslöst?„
Gründe
Der Beschluss beruht auf § 114 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. Art 234 des EG-Vertrags; er berücksichtigt die Hinweise des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte (2005/C 143/01). Die Beteiligten wurden vor Erlass des Aussetzungsbeschlusses angehört.
I. Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf deutsches Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in Verbindung mit den Vorschriften des koordinieren den Europäischen Sozialrechts.
Im dem vorliegenden Rechtsstreit ist die ... 1963 geborene Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige, mit den Kinder L... und C... nach Schweden ausgewandert und hat ab 01.09.2008 ihren Wohnsitz in Deutschland verloren. Ein Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG), das für den Bezug von Kindergeld die unbeschränkte Steuerpflicht und damit einen Wohnsitz der Klägerin in Deutschland verlangt, ist seit 01.09.2008 nicht mehr gegeben; dies ist unter den Beteiligten unstreitig. Die Familienkasse P... lehnte nämlich mit Bescheid vom 11.01.2010 einen Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) wegen des fehlenden Wohnsitzes und fehlender Steuerpflicht der Klägerin ab; dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Die Klägerin bezieht eine Erziehungsrente nach § 47 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI); nach dieser Vorschrift haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Erziehungsrente, wenn
1. ihre Ehe nach dem 30.06.1977 geschieden und ihr geschiedener Ehegatte gestorben ist,
2. sie ein eigenes Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten erziehen (Altersgrenze: 18 Jahre),
3. sie nicht wieder geheiratet haben und
4. sie bis zum Tode des geschiedenen Ehegatten die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die Erziehungsrente hat nach deutschen Rechtsvorschriften den Charakter einer Hinterbliebenenrente (Rente wegen Todes). Die Klägerin erfüllt die nationalen Voraussetzungen für den Bezug einer Erziehungsrente:
ihr früherer Ehegatte B... W... ist 1991 verstorben, zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin von ihm (seit ... 1984) geschieden, hatte die gemeinsame Tochter D... (... 1982) und 146 Monate an Beitragszeiten zurückgelegt. Die Landesversicherungsanstalt Sachsen hat mit Bescheid vom 06.04.1994 der Klägerin Erziehungsrente ab 01.01.1992 bewilligt; auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes D... (... 2010) hat die Klägerin aufgrund der Erziehung der Kinder L... W... (... 1995) und C... ... (... 1997) W... Anspruch auf Erziehungsrente. Diese Kinder sind aber nach dem Tod des geschiedenen Ehegatten geborenen und nicht dessen leibliche Kinder. Sie sind nach den vorliegenden Unterlagen die Kinder des Lebensgefährten der Klägerin, der seinen Wohnsitz zusammen mit der Klägerin nach den vorliegenden Unterlagen ebenfalls nach Schweden verlegt hat.
Die Familienkasse Nürnberg lehnte mit Bescheid vom 22.02.2010 den Kindergeldantrag vom 20.01.2010 nach Art. 77 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 mit der Begründung ab, die Klägerin beziehe keine der in Art. 77 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 genannten Rentenarten und auch nach Art. 78 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 komme für die Kinder L... und O... ein Anspruch nicht in Betracht, weil sie nicht Kinder des verstorbe...