Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht bzw -freiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Beziehern von Arbeitslosengeld, denen rückwirkend eine vorgezogene Altersvollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bewilligt wird und die von der Bundesagentur für Arbeit bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlung weiter Arbeitslosengeld erhalten. keine Beitragserstattung auf Grund nachträglicher Änderung der Rechtslage. Vertrauensschutz
Orientierungssatz
1. Die nachträgliche und rückwirkende Gewährung der Altersrenten hat die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung nicht rückwirkend aufgehoben und damit unrechtmäßig gemacht. Die Formulierung "zu Unrecht entrichtete Beiträge" bezieht die Rechtswidrigkeit der Beitragszahlung auf den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung. Zu diesem Zeitpunkt war die Beitragszahlung aber rechtmäßig. Wegen einer nachträglichen Änderung der Rechtslage können Beitragserstattungen deswegen nicht verlangt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Änderung der Rechtslage rückwirkend erfolgt.
2. Eine Beitragserstattung auf Grund nachträglicher Rechtsänderung scheidet vor allem dann aus, wenn damit rückwirkend in das Versicherungsverhältnis eingegriffen wird. Beiträge die zunächst rechtmäßig entrichtet worden sind und die Rente erhöhen, müssen aus Vertrauensschutzgründen im Rentenkonto verbleiben.
3. Ein Vertrauen kann nur durch gezahlte Beiträge entstehen, nicht durch Leistungen allein, die eine Beitragspflicht begründen könnten.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheids vom 09.10.2018 lediglich Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 50.192,88 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 8.439,- Euro zu fordern. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin und die Beklagte tragen je die Hälfte der Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 27.183,13 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Rentenversicherungsbeiträgen aus Arbeitslosengeld aus einer Betriebsprüfung der Beklagten bei der Klägerin für die Jahre 2016 und 2017.
Nach einer Schlussbesprechung (Anhörung) vom 08.08.2018 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09.10.2018 gegenüber der Klägerin eine Beitragsforderung von 61.949,52 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen von 9.624,50 Euro für den Zeitraum 01.01.2016 bis 31.12.2017 fest. Sie stützte sich dabei auf Ermittlungen der Betriebsprüfung.
Die Klägerin nehme u.a. Rückrechnungen zu Unrecht vor beziehungsweise teilweise fehlende Beitragszahlungen zu Unrecht nicht vor, wenn Versicherten während des Bezugs von Arbeitslosengeld rückwirkend Altersrente bewilligt worden sei. Im Interesse der Versicherten werde durch die Klägerin bei Zuerkennung einer Altersrente erst mit Einsetzen der laufenden Rentenzahlung der Arbeitslosengeldbezug beendet. Da bis 31.12.2016 Rentenversicherungsfreiheit für Altersvollrentner bestand, wurden die für die Zeit ab Rentenbeginn aus dem Arbeitslosengeld gezahlten Rentenversicherungsbeiträge für diesen Personenkreis verrechnet bzw. rückgerechnet.
Seit dem 01.01.2017 besteht allerdings bei den sogenannten "vorgezogenen" Altersrenten (Altersrenten vor Erreichen der Regelaltersgrenze) auch dann keine Versicherungsfreiheit mehr, wenn die Rente als Vollrente gezahlt wird. Eine Verrechnung der Beiträge sei in diesen Fällen nicht mehr möglich.
Die Beklagte beruft sich hierbei auf die Rechtsprechung des BSG zu rückwirkend gewährten Erwerbsminderungsrenten, die analog anzuwenden sei. Der Versicherungsschutz müsse danach im jeweiligen Zeitpunkt klar erkennbar sein; rückwirkende Veränderungen seien grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BSG vom 15.05.1984, Az.: 12 RK 7/83 und BSG vom 25.01.1995, Az.: 12 RK 51/93). Begründet habe das BSG die Besonderheit, von einem Vertrauensschutz in den Versicherungsschutz bei einer umfassenden Beitragsfreiheit absehen zu können, damit, dass der Anwartschaftserwerb durch Beitragsentrichtung mit rückwirkenden Beginn der Vollrente wegen Alters endgültig beendet sei. Durch die gesetzliche Neuregelung des § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI zum 01.01.2017 werde deutlich, dass der Anwartschaftserwerb bei einer Altersvollrente vor Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht werde, gerade nicht endgültig beendet sei. Im Gegenteil sei es dem Gesetzgeber ein ausdrückliches Anliegen, den Erwerb weiterer Rentenanwartschaften zu ermöglichen. Damit sei es nicht zulässig, bei einer rückwirkenden Bewilligung einer Altersvollrente, die (noch) nicht zur Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI führe, den aufgrund des Entgeltersatzleistungsbezuges entstandenen Versicherungsschutz nachträglich entfallen zu lassen. In den 34 Fällen der Beigeladenen erfolgte daher die Rückrechnung bzw. fehlende Beitragszahlung zu Unrecht in Höhe von 24.745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.437,50 Euro.
Säumniszuschläge würden ab dem jeweiligen Rückrechnungszeitpunkt bzw. dem Eintritt der Fälligkeit bis Juli 2018 gefordert, da ein Verschulden der Prü...