Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagebeschluss an das BVerfG. Arbeitslosenversicherung. freiwillige Weiterversicherung/Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Kappung der Antragsfrist für langjährige Selbstständige. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Ist § 434j Abs 2 S 2 SGB 3 idF des Art 2 Nr 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende - GSiFoG - vom 20.7.2006 (BGBl I 2006, 1706 in der ab 1.6.2006 geltenden Fassung) mit Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art 20 Abs 3 GG) sowie dem Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar, als durch die vorgenannte Vorschrift die Antragsfrist für die freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB 3 teilweise nachträglich geändert und unterschiedlich - abhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung und der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit in der Vergangenheit - geregelt wurde?

2. Aussetzungs- und Vorlagebeschluss aufgehoben durch Beschluss vom 29.11.2007.

 

Gründe

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten die freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung nach § 28 a Sozialgesetzbuch -Arbeitsförderung- (SGB III) i. V. m. § 434 j Abs. 2 SGB III (Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I, Seite 1706) in der ab dem 01. Juni 2006 geltenden Fassung).

Die am 11.03.1969 geborene Klägerin war vom 01.07.1997 bis 30.06.1998 und vom 01.06.1999 bis zum 15.08.1999 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 16.08.1999 ist sie Mitgesellschafterin der H.K. GmbH, zu gleichen Teilen mit ihrem Ehemann. In der GmbH ist die Klägerin auch als Geschäftsführerin tätig.

Am 03.07.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die freiwillige Weiterversicherung nach § 28 a SGB III. Das Antragsformular hatte sie sich aus dem Internet beschafft. Eine Beratung oder ein sonstiger Kontakt mit der Beklagten hatte zuvor nicht stattgefunden.

Mit Bescheid vom 29.08.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende sei § 434 j Abs. 2 SGB III modifiziert worden. Nach § 434 j Abs. 2 S. 2 SGB III könnten sich selbständige Tätige und Auslandsbeschäftigte bei Antragstellung nach dem 31. Mai 2006 sich nur dann noch freiwillig weiter versichern, wenn sie ab dem 01.01.2004 (In-Kraft-Tretens des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) oder danach die selbständige Tätigkeit oder die Auslandsbeschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, aufgenommen hätten. Die Klägerin habe ihre selbständige Tätigkeit am 16.08.1999 aufgenommen. Da die Antragstellung jedoch erst am 03.07.2006 erfolgt sei, könne eine freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung nicht erfolgen.

Hiergegen legte die Klägerin am 04.09.2000 Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15.03.2000 -1 BvL 16/96-. Danach verstoße die am 01.06.2006 vom Bundestag beschlossene Neufassung des § 434 j Abs. 2 SGB III durch das Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt gegen den den Bürgern durch das Grundgesetz gewährte Vertrauensschutzprinzip sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz. Selbständige, die vor dem 01.01.2004 ihre selbständige Tätigkeit aufgenommen hätten, seien plötzlich rückwirkend gegenüber späteren Betriebsgründern willkürlich benachteiligt worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2006 als unbegründet zurück. Der Antrag zur freiwilligen Weiterversicherung müsse spätestens innerhalb einem Monat nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder Beschäftigung gestellt werden (§ 28 a Abs. 2 Satz 2 SGB III). Nach § 434 j Abs. 2 S. 1 SGB III gelte § 28 a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 bis zum 31.12.2006 gestellt werden könne. Stelle eine Person, deren Tätigkeit oder Beschäftigung gemäß § 28 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (selbständige Tätigkeit) zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, den Antrag nach dem 31.05.2006, gelte Satz 1 mit der Einschränkung, dass die Tätigkeit oder Beschäftigung nach dem 31.12.2003 aufgenommen worden sein müsse (§ 434 j Abs. 2 Satz 2 SGB III). Die Klägerin habe ihre selbständige Tätigkeit jedoch bereits am 16.08.1999 aufgenommen, so dass sie den Antrag bis zum 31.05.2006 hätte stellen müssen. Da die Antragstellung erst am 03.07.2006 erfolgt sei, wäre sie nicht mehr rechtzeitig gewesen. Ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag habe somit nicht mehr begründet werden können.

Dagegen hat die Klägerin am 02.10.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben.

Durch die beschlossene Rückwirkung und die der Öffentlichkeit bis zur Beschlussfassung verheimlichten Gesetzesänderung wäre ihr durch das Grundgesetz gewährter Vertrauensschutz unzumutbar beeinträchtigt. Zusätzlich sei gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verst...

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