Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungen für Bildung und Teilhabe. Kostenübernahme für eine integrative Lerntherapie. Geeignetheit. Dyskalkulie
Orientierungssatz
1. Ein Hilfebedürftiger hat Anspruch auf Übernahme der Förderkosten für eine integrative Lerntherapie gem § 28 Abs 5 SGB 2.
2. Die Lernförderung ist nicht geeignet, wenn das Lernziel objektiv nicht mehr erreicht werden kann, sondern nach den schulrechtlichen Bestimmungen zB ein Wechsel der Schulform und eine Wiederholung der Klasse angezeigt sind.
3. Bei Dyskalkulie handelt es sich um eine Entwicklungsverzögerung des mathematischen Denkens insbesondere bei jungen Menschen, die durch eine individuelle Förderung überwunden werden kann.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 6. Juli 2011 (Ende des Schuljahres 2010/2011) die Kosten für eine wöchentlich einstündige integrative Lerntherapie bei dem D. zu gewähren.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt die Übernahme von Kosten für eine Lernförderung durch den Antragsgegner.
Die 2001 geborene Antragstellerin steht mit ihrer Mutter und ihrem Bruder im laufenden Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II).
Mit Schreiben vom 24. Januar 2011 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Übernahme von Kosten für eine Lernförderung. Unter dem 17. Januar 2011 hatte sie durch ihre Mutter eine Bescheinigung der Klassenlehrerin Frau E. über die Notwendigkeit einer entsprechenden Fördermaßnahme eingeholt. In der Bescheinigung heißt es:
“Für den Lernförderbedarf - die Nachhilfe (z. B. Unterrichtsfach)
Mathematik/ Deutsch (Schreiben/ Rechtschreibung)
für einen Förderzeitraum vom 01.02.‚11 bis ________
in einem Umfang von 1-2 Stunden wöchentlich
wird bestätigt, dass ergänzende angemessene Lernförderung geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Zu diesen Lernzielen gehört nicht das Erreichen eines höherwertigen Schulabschlusses oder die Verbesserung des Notendurchschnittes.
Das Erreichen der wesentlichen Lernziele (im Regelfall die Versetzung) ist gefährdet.
Im Falle der Erteilung von Nachhilfeunterricht besteht eine positive Versetzungsprognose.
Die Leistungsschwäche ist nicht auf unentschuldigte Fehlzeiten oder anhaltendes Fehlverhalten zurückzuführen.
Geeignete kostenfreie schulische Angebote bestehen nicht.„
Zu den besonderen Anforderungen an die Art der Nachhilfe oder die Qualifikation der Nachhilfelehrerin/ des Nachhilfelehrers wurde Folgendes ausgeführt:
“Bei F. ist Dyskalkulie und evtl. eine LRS diagnostiziert worden. Zudem kommen Schwierigkeiten in der Wahrnehmung hinzu (heilpädagog. Förderung).„
Mit Schreiben vom 26. Januar 2011 teilte der Antragsgegner der Mutter der Antragstellerin mit, dass eine abschließende Entscheidung über Leistungen zur Bildung und Teilhabe erst nach Verkündung der gesetzlichen Neuregelung des SGB II möglich sei. Es sei gegenwärtig nicht absehbar, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang der Gesetzgeber Leistungen zur Bildung und Teilhabe bereitstellen werde. Daher werde man sich zum gegebenen Zeitpunkt wieder an die Antragstellerin wenden. Einen neuen Antrag brauche sie nicht zu stellen. Des Weiteren werde gebeten, von Rückfragen abzusehen.
Am 22. März 2011 hat die Antragstellerin durch ihre Mutter bei Gericht unter dem Aktenzeichen 49 AS 607/11 ER um vorläufigen Rechtsschutz für die Übernahme von Kosten für eine am 23. März 2011 beginnende mehrtägige Klassenfahrt sowie für den beantragten Förderunterricht nachgesucht. Die Notwendigkeit des Förderunterrichts sei begutachtet worden und einer der wenigen Plätze für die integrative Lerntherapie bei dem Harfe e.V. sei für die Antragstellerin freigehalten worden. Dennoch habe der Antragsgegner die Kosten nicht übernommen
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die Kosten für eine integrative Lerntherapie bei dem D. zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Lernförderung bestehe auch nach Inkrafttreten der Neuregelung in § 28 Abs. 5 SGB II nicht, da diese Vorschrift nur die Förderung bei vorübergehender Lernschwäche im Auge habe. Bei der Antragstellerin sei jedoch Dyskalkulie sowie eine “Lese-Rechnen-Schwäche„ und damit keine vorübergehende Lernschwäche diagnostiziert worden, so dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 5 SGB II nicht gegeben seien.
Die Klassenlehrerin der Antragstellerin hat auf eine entsprechende telefonische Anfrage des Gerichts hin mit Schreiben vom 11. April 2011 die Angaben ihrer Bescheinigung vom 17. Januar 2011 weitgehend bestätigt und dargelegt, dass eine möglichst schnel...