Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers an die Krankenversicherung. Wertung als umfassender Antrag des Versicherten. erstangegangener Leistungsträger. Zuständigkeit für Hörgeräteversorgung. Verurteilung des erstangegangenen Leistungsträgers nach notwendig erfolgter Beiladung. Außenverhältnis. Versicherter. Information über eigenanteilsfreie Versorgung. Aufhebung der Bescheide des zweitangegangenen Leistungsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers an die Krankenversicherung ist als umfassender Antrag des Versicherten zu werten, der sich nicht nur auf die Versorgungspauschale bezieht, sondern auch auf den darüber hinausgehenden Eigenanteil.

2. Die Krankenversicherung wird durch die Versorgungsanzeige des Akustikers erstangegangener Leistungsträger.

3. Der erstangegangene Leistungsträger bleibt auch nach Erlass eines (eventuell rechtswidrigen) Verwaltungsaktes zuständig für die Hörgeräteversorgung des Versicherten, sowohl hinsichtlich der Versorgungspauschale, als auch hinsichtlich des darüber hinausgehenden Festbetrages.

4. Der erstangegangene Leistungsträger kann nach notwendig erfolgter Beiladung gem. § 75 Abs 5 SGG verurteilt werden. Ihr früher ergangener teilablehnender Bescheid steht dem nicht entgegen. Wenn er mittlerweile bestandskräftig ist, kommt § 44 SGB 10 zur Anwendung. Eines Vorverfahrens bedarf es insofern nach einer Beiladung nicht mehr.

5. Im Außenverhältnis zum Versicherten ist nicht relevant, ob der Akustiker seine Verpflichtungen aus dem BIHA-Vertrag eingehalten hat.

6. Die Krankenversicherung kann sich nicht darauf berufen, sie habe nicht gewusst, dass der Versicherte die Hörgeräte von Seiten des Akustikers nicht eigenanteilsfrei angeboten bekommen habe.

7. Dem Anspruch des Versicherten steht auch nicht entgegen, wenn "über das Angebot einer eigenanteilsfreien Versorgung informiert worden" ist. Denn diese Belehrung ist unvollständig und daher falsch, wenn nicht darüber aufgeklärt wird, dass das am besten geeignete Gerät eigenanteilsfrei abgegeben werden muss, nicht nur eines mit schlechteren Hörergebnissen.

8. Inhaltliche Bescheide des zweitangegangenen Leistungsträgers, sind aufzuheben, da dieser sachlich unzuständig war.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2011 wird aufgehoben.

2. Die Beigeladene zu 1. wird verpflichtet, ihren Bescheid vom 19.05.2010 zu ändern.

3. Die Beigeladene zu 1. wird verurteilt, der Klägerin Kosten in Höhe von 2111,00 € zu erstatten.

4. Die Beigeladene zu 1. trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der anderen Beteiligten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Kostenerstattung für bereits beschaffte Hörgeräte in Höhe von 2.111 €.

Die 1953 geborene Klägerin ist rentenversichert bei der Beklagten und krankenversichert bei der Beigeladenen zu 1.). Sie leidet nach mehreren Hörstürzen unter Schwerhörigkeit und einem Tinnitus. Sie ist berufstätig bei dem E. Hilfsdienst und betreut dort den Hausnotruf, wobei sie Notrufe entgegen nehmen und Telefongespräche sowie direkte Gespräche mit Kunden führen muss. Sie erledigt aber auch administrative Aufgaben im Büro.

Am 06.05.2010 erhielt die Klägerin eine Verordnung ihres HNO-Arztes über eine Hörgeräteversorgung beidseits. Daraufhin testete sie bei einem Hörgeräteakustiker, dem Beigeladenen zu 2.), verschiedene Hörgeräte. Darunter:

eigenanteilsfreie Geräte:

Oticon Go Pro VC

Sprachverstehen 90 %

(85 % im Störschall)

Nova 2

Sprachverstehen 90 %

(85 % im Störschall)

eigenanteilspflichtige Geräte:

Next 4 Moci

Sprachverstehen 90 %

Sprass Premium 10er Batt

Sprachverstehen 100 %

(90 % im Störschall).

Der Beigeladene zu 2.) beantragte für die Klägerin im Mai 2010 bei der Krankenversicherung der Klägerin, der Beigeladenen zu 1.), die Kostenübernahme für die Geräte Sprass Premium 10 er Batt, indem er die durch den Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker KdöR und dem Verband der Angestellten Krankenkassen e.V. (im Folgenden: BIHA-Vertrag) vereinbarte Versorgungsanzeige ausgefüllt einreichte.

Mit Bescheid vom 19.05.2010 übernahm die Beigeladene zu 1.) die Kosten für die Geräte in Höhe der Versorgungspauschale von 1192,80 €.

Die Klägerin beantragte am 26.07.2010 bei Deutschen Rentenversicherung Bund die Kostenübernahme in Höhe des über die Versorgungspauschale hinausgehenden Eigenanteils für die Hörgeräteversorgung. Sie legte eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers bei, wonach eine fehlerfreie Kommunikation am Telefon, im Büro und in unterschiedlichen Umgebungen erforderlich sei. Missverständnisse könnten Leben und Gesundheit der Hausnotrufteilnehmer gefährden.

Der Antrag wurde seitens der DRV Bund an die Beklagte weitergeleitet.

Am 01.09.2010 bestätigte Klägerin bei dem Beigeladenen zu 2.) den Erhalt der Geräte Sprass Premium. Am 06.09.2010 unterschrieb sie, über das Angebot einer eigenanteilsfreien Versorgung informiert worden zu sein und sich für eine ...

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