Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattungsanspruch des Versicherten für ein selbstbeschafftes verschreibungspflichtiges Fertigarzneimittel gegenüber der Krankenkasse - Cytotect CP
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich kann ein Versicherter die Versorgung mit einem vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimittel nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Das Medikament Cytotect CP ist bisher für die Behandlung einer Primärinfektion mit Cytomegalieviren (CMV) während einer Schwangerschaft nicht zugelassen.
2. Bei der Primärinfektion mit CMV in der Schwangerschaft handelt es sich für den Fötus um eine lebensbedrohliche Erkrankung bzw. um eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht nicht zur Verfügung.
3. Damit eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Nach einer Studie der Universität Tübingen kann durch Cytotect CP eine starke Reduktion der Transmissionsraten des CMV auf den Fötus von 35, 2 % auf 2,5 % erreicht werden. Die Anwendung ist bis zur 20. Schwangerschaftswoche sicher. Die Phase 3 der Studie ist voraussichtlich im August 2021 beendet.
4. Handelt es sich um eine unaufschiebbare Leistung und kann diese von der Krankenkasse nicht rechtzeitig erbracht werden, so ist die Krankenkasse nach § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB 5 zur Kostenerstattung für die selbstbeschaffte Leistung verpflichtet.
Tenor
Der Bescheid vom 01.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2018 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für das Präparat Cytotect CP Biotest in Höhe von 2.917,85 € zu erstatten.
Die notwendigen außergerichtlichen Kostend der Klägerin sind von der Beklagten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Kostenerstattung für das selbst beschaffte, verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel Cytotect CP.
Die am B. geborene Klägerin infizierte sich während einer Schwangerschaft mit Cytomegalieviren (CMV) (nach ICD 10 GM: B25.88 Sonstige Zytomegalie). Auf den Laborbefund vom 28.11.2016 und den Bericht von Prof. Dr. X vom 24.12.2016 wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt am 22.12.2016 die Genehmigung einer Verordnung für den sog. „off label use“ des Fertigarzneimittels Cytotect CP Biotest zur Vermeidung einer Infektionserkrankung bei ihrem ungeborenen Kind im Rahmen der Primarinfektion mit CM Viren in der Schwangerschaft. (Bei dem Medikament handelt es sich um eine verschreibungspflichtige Infusionslösung, die zur Prophylaxe klinischer Manifestationen einer Cytomegalie Virusinfektion unter immunsuppressiver Therapie zugelassen ist.) Sie bat darum, aufgrund des dringenden Therapiebedarfs, innerhalb von drei Tagen über den Antrag zu entscheiden.
Am 28.12.2016 erfolgte die Behandlung mit einer intravenösen Infusion des Präparats Cytotect CP Biotest im Rahmen eines „off label use“ zur Vermeidung einer Infektionserkrankung bei dem ungeborenen Kind. Auf den Bericht von Dr. BG. vom 09.01.2017 wird Bezug genommen. Die nach dem Privatrezept vom 22.12.201627 entstandenen Kosten i. H. v. 2917,85 € wurden von der Klägerin am 27.12.2016 bezahlt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 01.02.2017 den Antrag auf Kostenübernahme ab, da die Voraussetzungen eines „off label use“ nicht erfüllt seien. Begründet wurde der Bescheid unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 26.01.2017, nach dem keine Erkrankung der Mutter behandelt werde und auf Grund der Datenlage keine begründete Aussicht bestehe, dass mit dem Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen sei.
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 17.02.2017 Widerspruch ein und begründete diesen ergänzende mit Schreiben vom 14.06.2017.
Das Kind der Klägerin wurde am 04.05.2017 gesund geboren.
Die Beklagte holte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ein erneutes Gutachten vom 23.05.2017 ein, nach dem Cytotect weder durch das Paul-Ehrlich-Institut noch durch die European Agency for the Evaluation of Medical Products (EMA) für den bei der Klägerin verwendeten Zweck zugelassen sei. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2018 zurück und begründete dieses damit, dass auch kein Anspruch nach § 2 Abs.1a Satz 1 SGB V bestehe, da nach den Feststellungen des MDK vom 26.01.2017 und 23.05.2017 kein erforderlicher Wirksamkeitsnachweis vorliege.
Die Klägerin hat am 22.02.2018 Klage erhoben. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs nach den Grundsätzen eines „off label use“ und die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 2 Abs. 1a SGB V erfüllt seien. Es liege sehr wohl eine Erkrankung bzw. drohende Erkrankung vor, da Mutter und Kind als Einheit zu sehen seien. Die Klägerin nimmt diesbezüglich Bezug auf die Entscheidung vom BSG vom 24.01.1990 (3 RK 18/88). Zudem nimmt die Kläg...