Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. keine Kürzung aufgrund freier Verpflegung während stationärer Mutter-Kind-Maßnahme. keine Einkommensberücksichtigung. keine Ermächtigungskonformität des § 2 Abs 5 AlgIIV 2008

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die freie Verpflegung während eines stationären Aufenthaltes berechtigt nicht zur Kürzung der Regelleistung nach § 20 SGB 2. Sie stellt auch kein zu berücksichtigendes Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB 2 dar.

2. § 2 Abs 5 der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen AlgIIV 2008 ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs 1 Nr 1 SGB 2 gedeckt.

 

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 07. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die der Klägerin gewährte freie Verpflegung während eines stationären Aufenthaltes als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Die 1981 geborene Klägerin und ihre 2001 und 2003 geborenen Kinder G. und H. erhalten seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der Beklagte bewilligte der Klägerin und ihren zwei Kindern zuletzt mit Bescheid vom 21. April 2008 Leistungen für den Zeitraum 01. Mai 2008 bis 31. Oktober 2008 in Höhe von 757,30 EUR monatlich.

Die Klägerin teilte im Mai 2008 mit, dass sie mit ihren Kindern vom 01. Oktober 2008 bis 22. Oktober 2008 an einer Mutter-Kind-Vorsorgemaßnahme teilnehmen werde.

Der Beklagte hob daraufhin den Bescheid vom 21. April 2008 mit Bescheid vom 07. August 2008 teilweise wegen Eintritts einer wesentlichen Änderung auf. Er berücksichtigte die freie Verpflegung mit einem Wert von 90,09 EUR als sonstiges Einkommen der Klägerin und setzte davon den Pauschbetrag nach §§ 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 6 Abs. 1 ALG II-V ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 18. August 2008 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Anrechnung des Sachbezuges rechtswidrig sei. Es fehle an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Anrechnung der häuslichen Ersparnis. Ein Rückgriff auf die ALG II-V sei insoweit nicht zulässig, da der Verordnungsgeber eine Anrechnung der stationären Verpflegung als Einkommen nicht regeln durfte, weil dies nicht von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt sei. Sie verwies auf den Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 25. Februar 2008 (L 9 AS 839/07 ER) und auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Juni 2008, B 14 AS 22/07 R.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und stützte sich auf § 2 Abs. 5 ALG II-V.

Hiergegen hat die Klägerin am 23. September 2008 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt (S 24 AS 830/08 ER). Zur Begründung vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren.

Die Klägerin beantragt schriftlich sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 07. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte diesen Rechtsstreit gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt haben.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 07. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin. Der Beklagte war nicht befugt, die der Klägerin während der stationären Mutter-Kind-Maßnahme gewährte freie Verpflegung bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

Es ist keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, die den Beklagten gemäß §§ 40 Abs. 1 SGB II, 330 SGB III, 48 Abs. 1 SGB X zu einer Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides berechtigt hätte.

Nach §§ 40 Abs. 1 SGB II, 330 SGB III, 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In diesem Sinne wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sie rechtserheblich ist. Vorausgesetzt wird also eine Änderung, die dazu führt, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt (so) nicht hätte erlassen dürfen, etwa weil der im Bescheid festgestellte Anspruch materiell-rechtlich nicht mehr oder nicht mehr in dieser Höhe besteht (Steinwedel in Kasseler Kommentar S...

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