Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen. Verjährung des Erstattungsanspruchs. Anwendbarkeit des § 52 SGB 10. dreißigjährige Verjährungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Spätestens ab dem Zeitpunkt der Neufassung des § 52 SGB 10 im Januar 2002 spricht alles dafür, dass Erstattungsbescheide nach § 50 Abs 3 SGB 10 gleichzeitig Bescheide im Sinne des § 52 Abs 1 S 1 SGB 10 sind und damit § 50 Abs 4 S 1 SGB 10 in der Tat keinen Anwendungsbereich mehr hat und aufgehoben werden könnte.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Mahngebühren aufgrund einer Forderung des Jobcenters B (nachfolgend: Jobcenter). Umstritten ist, ob die Forderung des Jobcenters verjährt ist.
Die Beklagte handelt als Inkasso-Service des Jobcenters.
Mit Beschluss vom 28.01.2013 eröffnete das Amtsgericht Tübingen ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit des Klägers (Bl. 2 VA).
Am 11.07.2013 erließ das Jobcenter einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (Bl. 47 Gerichtsakte). Das Jobcenter hob darin eine zuvor für Mai 2013 ergangene Leistungsbewilligung auf, da der Kläger in diesem Monat bedarfsdeckendes Einkommen erzielt hatte. Der Kläger wurde aufgefordert, Leistungen i.H.v. 1.130,78 € (Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 798,78 € sowie Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 332,00 €) auf ein im Bescheid benanntes Konto der „BA-Sevice-Haus“ zu überweisen. Zudem wurde der Kläger auf eine mögliche Zwangsvollstreckung hingewiesen, sollte er die Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung nicht einhalten. Wegen Anträgen zu Zahlungsmodalitäten verwies das Jobcenter den Kläger an die Beklagte.
Am 20.07.2013 teilte der Kläger der Beklagten mit, er könne die Forderung aus dem Bescheid vom 11.07.2013 aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht begleichen (Bl. 1 VA).
Am 08.08.2013 legte der Kläger gegen den Bescheid am 11.07.2013 beim Jobcenter Widerspruch ein (Bl. 49 Gerichtsakte). Gegenstand des Widerspruchs war lediglich die Rückforderung der Zuschüsse für die Kranken- und Pflegeversicherung. Der Kläger machte geltend, die private Krankenversicherung habe die Beiträge bereits erstattet. Das Jobcenter wies den Widerspruch am 09.08.2013 zurück (Bl. 50 Gerichtsakte). Da die private Krankenversicherung aber doch Beiträge an das Jobcenter erstattete, buchte das Jobcenter am 21.08.2013 332,00 € aus der gegen den Kläger geltend gemachten Erstattungsforderung aus (Bl. 43 Gerichtsakte).
Im Insolvenzverfahren erklärte das Amtsgericht Tübingen am 07.03.2018 durch Beschluss die Restschuldbefreiung mit folgender Begründung: „Die Restschuldbefreiung wirkt gegen alle Insolvenzgläubiger, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.01.2013 eine Forderung gegen den Schuldner hatten; dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet hatten“ (Bl. 12 VA).
Die Beklagte forderte den Kläger mit der Mahnung vom 21.03.2019 auf, 798,78 € zzgl. Mahngebühren gem. § 19 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) i.H.v. 5,00 € bis spätestens 04.04.2019 zu zahlen (Bl. 4 VA).
Hiergegen legte der Kläger mit der Begründung, die Forderung sei der Insolvenz und der Restschuldbefreiung unterfallen, Widerspruch ein (Bl. 8 VA).
Die Beklagte legte den Widerspruch als Widerspruch gegen die Festsetzung der Mahngebühren aus und wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2019 zurück (Bl. 14 VA). Die Forderung des Jobcenters sei mahnbar gewesen. Sie sei erst nach der Insolvenzeröffnung entstanden. Daher sei die erteilte Restschuldbefreiung ohne Bedeutung.
Deswegen hat der Kläger am 12.06.2019 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Er trägt vor, die angemahnte Forderung stehe dem Jobcenter aufgrund der Restschuldbefreiung nicht mehr zu. Zudem sei sie nach § 50 Abs. 4 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seit dem 01.10.2018 verjährt. Hierzu verweist der Kläger auf den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.12.2018, Az. L 34 AS 2224/18 B-ER (in juris). Danach begründe der einfache Rückforderungsbescheid vom 11.07.2013 keine Verjährungshemmung nach § 52 SGB X. Ansonsten würde für § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X kein Anwendungsbereich verbleiben. Erst durch den Erlass eines die Verjährung hemmenden Verwaltungsaktes nach § 52 SGB X, werde den Behörden für Erstattungsansprüche eine längere Verjährungsfrist gewährt.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung zurückgewiesen. Der Erstattungsbescheid vom 11.07.2013 stelle einen Verwaltungsakt gemäß § 52 SGB X dar.
Wegen eines beim Bundessozialgericht zu dieser Frage anhängigen Revisionsverfahrens (B 11 AL 5/19 R) hat das Gericht am 31.10.2019 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Der Kläger hat das Verfahren am 29.01.2020 wieder aufgerufen. Die Bundesagentur habe im Revisionsverfahren B 11 AL 5/19 R die Berufung zurückgenommen. Damit sei das angefochtene Urteil d...