Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der grundsätzliche Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung begegnet im Hinblick auf etwaige Besonderheiten der anthroposophischen Medizin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tenor
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3) Soweit eine Einschränkung der Berufung auf die Klage betreffend den Bescheid vom 14.07.2005 erfolgt, wird die Berufung zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für die Beschaffung nicht verschreibungspflichtiger anthroposophischer Arzneimittel.
Die am ... geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflichtkrankenversichert. Von der Möglichkeit entgegen dem Sachleistungsgrundsatz Kostenerstattung zu wählen, hat sie keinen Gebrauch gemacht.
Am 18.11.2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erstattung von Kosten für die Beschaffung anthroposophischer Arzneimittel, die ihr in der Zeit vom 16.01.2004 bis zum 29.09.2004 von ihren behandelnden Ärzten auf “Privatrezept„ verordnet wurden.
Mit Bescheid vom ... lehnte die Beklagte die Kostenerstattung ab. Bei den für die Klägerin auf Privatrezepten verordneten Arzneien handle es sich um Mittel, die entweder apothekenpflichtig aber nicht verschreibungspflichtig seien bzw. um ausgeschlossene Arzneimittel. Aus diesen Grund seien die Arzneimittel nicht auf Vertragsrezept zu Lasten der Krankenkasse sondern auf Privatrezept verordnet worden. Eine Kostenerstattung könne daher nicht erfolgen.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom .... Die Klägerin trug vor, der seit 01.01.2004 aufgrund der Neuregelung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190) geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sei verfassungswidrig. Sie nahm dazu auf eine vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 04.08.2004 nicht angenommene Verfassungsbeschwerde Bezug (Az.: 1 BvR 1076/04). In der Verfassungsbeschwerde wurde die Entwicklung der anthroposophischen Medizin, ihre Stellung als anerkannte besondere Therapierichtung nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und ihre Eigenschaft als Arzneimitteltherapie dargestellt. Es wurde geltend gemacht, der mit der Neuregelung des GMG im Wesentlichen erfolgte Ausschluss anthroposophischer Arzneimittel aus der vertragsärztlichen Versorgung stehe im Widerspruch zur Zulassung der anthroposophischen Medizin als mögliche Therapierichtung. Die in den Arzneimittelrichtlinien vorgesehene Ausnahmeliste führe nicht zur Beseitigung dieses Mangels. Die gesetzliche Neufassung der Anspruchsgrundlage für die Arzneimittelversorgung verstoße gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Patient könne die Therapierichtung frei wählen, das heiße entscheiden, ob er nach den Regeln der Schulmedizin behandelt werden wolle oder nach den Regeln einer anerkannten besonderen Therapierichtung wie zum Beispiel der anthroposophischen Medizin. Für dieses Wahlrecht werde unterstellt, dass es überhaupt bestehe, dass der Patient also nicht nach den Regeln der Schulmedizin schon “austherapiert„ sein müsse. Es sei ausgeschlossen, den Patienten zur Wahl einer Therapierichtung zu zwingen, weil er damit zur Wahl eines theoretischen Gedankengebäudes gezwungen werde, eines Gedankengebäudes, das bei allen besonderen Therapierichtungen eine eigene philosophische Grundlage, ein eigenes Natur- und Menschenbild zur Voraussetzung habe, und, wenn man das so sehen wolle, eine Weltanschauung. Zwar würden die Grundrechte in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip keinen subjektiven Anspruch auf Gewährung konkreter Leistungen durch die gesetzlichen Krankenversicherung einräumen. Um eine solche Leistungsbeschränkung ginge es jedoch nicht, sondern um einen grundsätzlichen vollen Leistungsausschluss einer ganzen Therapierichtung für die normal erkrankten Patienten. Das Selbstbestimmungsrecht des Versicherten müsse jedenfalls dort uneingeschränkt verwirklicht werden können, wo die Rechtsordnung dafür Raum lasse, nämlich - zum Beispiel - bei der Wahl des therapeutischen Konzepts, das der Gesetzgeber selbst ausdrücklich zugelassen habe. Wenn eine gesetzliche Regelung dazu führe, dass der Versicherte eine innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung anerkannte Therapierichtung nicht mehr wählen dürfe, und damit auch keine ihrer Behandlungsmethoden, dann könne der Patient insoweit nicht mehr über sich selbst verfügen. Die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung sei kein Argument für die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts. Der Gesetzgeber habe 5 Monate vor der endgültigen Fassung des GMG erklärt, die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen würden insgesamt gerade 1 % der Arzneimittelausga...