Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Rauchen. betriebsdienliche Tätigkeit. Löschen des Brandes am Arbeitsplatz. selbst geschaffene Gefahr. Unfallkausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung

 

Orientierungssatz

1. Ein Arbeitnehmer, der nach dem Anzünden einer Zigarette am Arbeitsplatz einen Brand durch das Wegwerfen seines brennenden und defekten Feuerzeuges auslöste, steht beim Versuch diesen zu löschen gem § 8 Abs 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, da seine Handlungstendenz nicht mehr auf das Rauchen gerichtet war, sondern den Betrieb seines Arbeitgebers vor weiterem Schaden zu schützen.

2. Der Begriff "selbst geschaffene Gefahr" ist für die Bedeutung des sachlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ohne Bedeutung. Ist die von dem Versicherten selbst geschaffene Gefahr seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen, ist diese Gefahrerhöhung unbeachtlich. Eine Gefahrerhöhung durch Risiken, die nicht der versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, sondern privaten Umständen zuzurechnen sind, betreffen nicht den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls, sondern den Zusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Für diesen Zusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 07.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenrente ab 01.04.2017 sowie Sterbegeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zustehen.

Die 1961 geborene Klägerin war die Ehefrau des am XXX geborenen im Mitgliedsunternehmen der Beklagten beschäftigten XXX (im Folgenden: G). G suchte am 31.03.2017 kurz vor Arbeitsbeginn gegen 6.00 Uhr den Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber auf. Er stellte seine Vespertasche auf einen Arbeitstisch. Eine Arbeitskollegin kam hinzu, die die weiteren Vorgänge miterlebte. G wollte sich eine Zigarette anzünden und sodann mit der brennenden Zigarette in den Raucherbereich gehen, da das Rauchen am Arbeitsplatz verboten war. Aufgrund eines Defektes am Feuerzeug kam es beim Entzünden auch zu einer Flamme an der Außenseite des Feuerzeuges, die auch nach Schließung des Gasventils weiter brannte. G warf daraufhin das Feuerzeug auf den Boden, wo es eine dort befindliche Kunststofffolie sofort in Brand setzte. G versuchte, das Feuer auszutreten, was dazu führte, dass seine Schuhe und seine Freizeithose in Brand gerieten. Kurz darauf brannte die Kleidung am ganzen Körper. Erst als die Arbeitskollegin Wasser geholt und ihn damit überschüttet hatte, erloschen die Flammen. G wurde mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert und verstarb an den Folgen der Verletzungen am 01.04.2017.

Die Beklagte lehnte Hinterbliebenenleistungen mit dem angefochtenen Bescheid vom 07.08.2017 ab. Das Rauchen sei der Privatsphäre zuzuordnen. Die Handlungstendenz des Versicherten sei daher auf private eigenwirtschaftliche Belange gerichtet gewesen. Das Handeln des Versicherten habe nicht als dem Unternehmen dienende Tätigkeit angesehen werden können. Damit liege kein Arbeitsunfall vor und die Voraussetzungen für Hinterbliebenenleistungen seien nicht gegeben.

Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 30.11.2017) hat die Klägerin am 29.12.2017 zum Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Der Weg zur Umkleidekabine gehöre zu den versicherten Vor- und Nachbereitungstätigkeiten, da G verpflichtet gewesen sei, vom Arbeitgeber geforderte Schutzkleidung, Arbeitskleidung, anzuziehen. Wenn er sich anlässlich des Weges zur Umkleidekabine eine Zigarette anzünde, habe er hierbei den Weg zum Umkleideraum nicht zu einer privaten Verrichtung unterbrochen, so dass der Versicherungsschutz aufrecht erhalten bleibe. Das Herumliegen eines brennbaren Kunststoffsackes (einer Kunststofffolie oder Tüte) habe zu einer besonderen Betriebsgefahr geführt, den Unfallhergang und seine Betriebsbedingtheit geprägt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente ab 01.04.2017 sowie Sterbegeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Da G zum Unfallzeitpunkt seine Tätigkeit noch nicht aufgenommen gehabt habe und das Rauchen eigenwirtschaftlich und somit unversichert sei, sei G zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Person gewesen. Eine Verrichtung sei jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjekt...

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