Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. Pflicht zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge ohne Verdacht auf Leistungsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Kontoauszügen handelt es sich um Beweismittel iS des § 60 Abs 1 Nr 3 SGB 1, deren Nichtvorlage zu einer Versagungsentscheidung gem § 66 Abs 1 und 3 SGB 1 führen kann. Eines konkreten Missbrauchsverdachtes bedarf es hierbei nicht.
2. Bei einer Versagungsentscheidung gemäß § 66 Abs 1 und 3 SGB 1 handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Der Leistungsträger hat bei dieser Entscheidung im Rahmen seines Ermessens nicht nur darüber zu entscheiden, ob er überhaupt von der Versagung oder Entziehung Gebrauch macht, sondern insbesondere auch darüber, ob er die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzieht.
3. Bei der Nichtvorlage von Kontoauszügen gibt es keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass immer die gesamten Leistungen zu versagen bzw zu entziehen sind.
Orientierungssatz
Da es sich bei den angeforderten Kontoauszügen um leistungserhebliche Tatsachen und Beweismittel iS des § 60 Abs 1 SGB 1 handelt, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind (§ 67a SGB 10), steht der Schutz der Sozialdaten aus §§ 35 SGB 1, 67ff SGB 10 dem Verlangen nicht entgegen und auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht beeinträchtigt.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2007 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch SGB II. Grund für die Versagung ist die Weigerung der Klägerin der Beklagten Kontoauszüge vorzulegen.
Die Klägerin beantragte erstmals am 17.11.2004 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für sich und ihre drei Kinder, die von der Beklagten antragsgemäß bewilligt wurden.
Im Rahmen dieses Erstantrages legte die Klägerin verschiedene Kontoauszüge vor (Bl. 18 bis 20, 23 bis 24 und 33 der Verwaltungsakte).
Anlässlich eines Fortzahlungsantrages forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2005 zur Vorlage von Kontoauszügen aus den Monaten Juni und Juli 2005 bis zum 08.08.2005 auf. Es wurde angekündigt, dass die Leistungen eingestellt würden, wenn die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme. Das in der Verwaltungsakte enthaltene Schreiben enthält den handschriftlichen Vermerk: “ wurden angeblich vorgelegt. .... erledigt.„ (Bl. 64/1 der Verwaltungsakte)
Die Klägerin und ihre Kinder erhielten bis 31.10.2005 Leistungen. Ab dem 01.11.2005 wurden keine Leistungen durch die Beklagte mehr erbracht, da die Klägerin ausreichendes Einkommen erzielte (Bl. 152 der Verwaltungsakte).
Am 07.08.2006 beantragte die Klägerin erneut Leistungen, da sie ihre Arbeitsstelle verloren hatte (Bl. 72/1 Verwaltungsakte). Auf dem Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens gab die Klägerin an, sie verfüge weder über Bargeld noch über ein Girokonto (Bl. 72/6 der Verwaltungsakte). Trotz dieser Angabe legte die Klägerin im Rahmen der Antragstellung auszugsweise Kontoauszüge über ein Konto “...„ bei der ... vom 28.07.2006 und 14.09.2006 vor. Am 28.07.2006 wies das Girokonto ein Guthaben in Höhe von 3,58 € und am 14.09.2006 in Höhe von 125,46 € auf (Bl. 98 der Verwaltungsakte). Eine lückenlose Vorlage von Kontoauszügen wurde von der Klägerin verweigert.
Mit Schreiben vom 29.08.2006 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage der kompletten Kontoauszüge der letzten drei Monate mit einer Frist bis zum 15.09.2006 auf. Sollte die Klägerin bis zu diesem Termin nicht antworten, werde die Leistung ganz versagt (A 1 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 26.09.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin und der mit dieser in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kindern Leistungen nach dem SGB II vom 01.09.2006 bis 31.01.2007 (A 4 der Verwaltungsakte).
Am 20.12.2006 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der gewährten Leistungen und gab hierbei an, dass es zu keinen Änderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gekommen sei (Bl. 158 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 10.01.2007 forderte die Beklagte die Klägerin erneut zur Vorlage der kompletten Kontoauszüge der letzten drei Monate auf und setzte eine neue Frist zum 29.01.2007. Sollte die Klägerin bis zu diesem Termin die geforderten Unterlagen nicht einreichen, werde die Leistung ganz versagt (A 6 der Verwaltungsakte). Adressiert war dieses Schreiben ausschließlich an die Klägerin, nicht jedoch an deren Kinder.
Mit Schreiben vom 25.01.2007 wies die Beklagte die Klägerin auf ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil der 2. Kammer des SG Reutlingens hin, wonach eine Verpflichtung bestehe, die Kontoauszüge der le...