Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Rückwirkung des Leistungsantrags auf den Ersten des Kalendermonats der Antragstellung bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen. Eingang der Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger beim Sozialhilfeträger nach Ablauf des Antragsmonats
Leitsatz (amtlich)
Der Antrag auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aus §§ 19 Abs 2 S 1, 41 Abs 1 und 3 SGB XII wirkt ungeachtet des Umstandes, dass eine vorläufige Entscheidung nach § 44a Abs 1 SGB XII nicht ergehen könnte, auch dann nach § 44 Abs 2 S 1 SGB XII auf den Ersten des Kalendermonats zurück, in dem er gestellt wird, wenn die bindende Feststellung der dauerhaft vollen Erwerbsminderung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger (§ 45 SGB XII) erst nach Ablauf des Antragsmonats beim Sozialhilfeträger eingeht (entgegen Runderlass Nr 13/2017 vom 27.4.2017 des Ministeriums für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern).
Tenor
Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 05.02.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2020 verurteilt, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch ab dem 12.09.2019 bis zum 31.12.2019 zu gewähren.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die am ... geborene Klägerin hat einen Grad der Behinderung vom 80 und ihr sind die Merkzeichen G, B und H zuerkannt. Ihre Mutter ist als Betreuerin für sie bestellt. Die Klägerin verfügt im streitgegenständlichen Zeitraum vom 12.09.2019 bis 31.12.2019 nicht über Einkommen oder Vermögen und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Beklagten.
Am 19.09.2019 wandte sich die Mutter der Klägerin für diese an den Beklagten mit der Bitte um Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Unter dem 01.11.2019 bat der Beklagte die Deutsche Rentenversicherung Nord um Prüfung, ob bei der Klägerin eine dauerhaft volle Erwerbsminderung im Sinne von § 41 Abs. 3 SGB XII vorliege.
Unter dem 09.01.2020 teilte die Deutsche Rentenversicherung Nord mit, dass die Klägerin unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI sei, es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne und dass die volle Erwerbsminderung seit der Geburt am ... bestehe.
Mit Bescheid vom 05.02.2020 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt an die Klägerin ab, weil Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung den Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt vorgingen, ein Nachweis über die dauerhaft volle Erwerbsminderung der Klägerin erst am 13.01.2020 bei der Beklagten eingegangen sei und ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vorrangig sei.
Mit weiterem Bescheid vom 05.02.2020 gewährte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 in Höhe von monatlich 617,40 € für die Zeit vom 01.07.2020 bis 31.07.2020 in Höhe von 543,96 € und für die Zeit vom 01.08.2020 bis 31.12.2020 in Höhe von monatlich 533,20 €.
Mit Widerspruch vom 20.02.2020 wandte sich die Klägerin dagegen, dass ihr für die Zeit von der Antragstellung bis zum 31.12.2019 keine Leistungen der Grundsicherung gewährt worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung verwies er darauf, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vor Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem Runderlass Nr. 13/2017 vom 27.04.2017 des Ministeriums für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern erst bei sicherem Vorliegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung bestehe und regelmäßig erst nach entsprechender Feststellung für die Zukunft bewilligt werden könnte. Hier sei die dauerhaft volle Erwerbsminderung der Klägerin erst am 09.01.2020 festgestellt worden, daher sei die Grundsicherung nach § 44 Abs. 2 SGB XII ab 01.01.2020 zu bewilligen.
Mit ihrer Klage vom 19.06.2020 begehrt die Klägerin weiterhin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 12.09.2019 bis 31.12.2019. Sie ist der Ansicht, dass die dauerhaft volle Erwerbsminderung seit Geburt bestanden habe und sie für die säumige Arbeitsweise des Beklagten nichts könne.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 05.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2020 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 12.09.2019 bis 31.12.2019 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er...