Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenärztliche Vereinigung. Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Beachtung der Ausschlussfrist von 4 Jahren. Tätigkeit in freier Praxis

 

Orientierungssatz

1. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat (vgl BSG vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R = BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4).

2. Erfolgt die Richtigstellung nach Verstreichen einer Ausschlussfrist von 4 Jahren, ist eine Richtigstellung jedoch nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs 2 S 3, Abs 4 S 1 SGB 10 erfüllt sind. Die Ausschlussfrist beginnt mit der Bekanntgabe des Honorarbescheides.

3. Die Tätigkeit in "freier Praxis" beinhaltet zum einen eine wirtschaftliche Komponente - die Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis - und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht. Beide Komponenten müssen erfüllt sein.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 29.06.2022; Aktenzeichen B 6 KA 7/21 B)

 

Tenor

Der Bescheid vom 24. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2010 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit einer nachgehenden sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarbescheide für die Quartale III/92 bis II/99 und Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 12.682.158,28 Euro.

Die 1950 in … geborene Klägerin, seit 1980 Fachärztin für Laboratoriumsmedizin , begann ihre berufliche Tätigkeit in der ehemaligen DDR im Krankenhaus …, später im Bezirkskrankenhaus C-Stadt. Vom 01. März 1990 bis 31. Dezember 1990 arbeitete sie dann als Weiterbildungsassistentin in der Gemeinschaftspraxis (GP) … in A-Stadt, ab 01. Januar 1991 mit einer Zulassung als Vertragsärztin durch den Zulassungsausschuss für Ärzte in … in einer „Assoziation in der Gemeinschaftspraxis für Laboratoriumsmedizin …“. Auf ihren Antrag vom 18. Oktober 1991 erteilte ihr der Zulassungsausschuss für Ärzte in MV mit Beschluss vom 23. Oktober 1991 die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit mit Praxissitz C-Stadt. Nach einmaliger Verlängerung der Frist zur Aufnahme der Tätigkeit wegen fehlender Praxisräume nahm die Klägerin am 01. Juli 1992 ihre Praxistätigkeit auf. Ab dem 01. April 1993 führte sie formal eine GP mit dem Laborarzt Dr. P… Am 30. April 1999 gab sie ihre Zulassung zurück und war in der Folgezeit im Bereich der KV Bayern tätig.

Im Zusammenhang mit der Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in C-Stadt schloss die Klägerin mit der GP … unter dem 30. Juni 1992 einen sogenannten „Gründungsvertrag“, wonach die GP die Klägerin „bei der Existenzgründung beratend und unterstützend zur Seite stehen und ihr insbesondere bei der sachlichen und personellen Gründung behilflich sein“ werde. Die Vereinbarung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, sah u. a. vor, dass die Kassenabrechnung durch die Klägerin vorgenommen werde. Die GP werde sie dabei mit den technischen Mitteln, die ihr zur Verfügung stünden, nachhaltig unterstützen. Die Einnahmen der Praxis würden auf ein Konto bei der … eingezahlt und zwar einschließlich aller Honorare und der kassenärztlichen Vergütung. Davon würden zunächst die Ausgaben bestritten, soweit es möglich sei. Eine dann noch entstehende Unterdeckung werde von der GP … ausgeglichen werden und zwar einschließlich der Vergütung, die der Klägerin zustehe. Überdeckungen würden mit etwaigen Unterdeckungen verrechnet. Die Klägerin erhalte ab 01. Juli 1992 als Tätigkeitsvergütung DM 130.000,00 anteilig p.a., ab dem 01. Januar 1993 DM 150.000,00 p. a. Die Tätigkeitsvergütung werde in 12 gleichen Teilen ausgezahlt. Die Tätigkeitsvergütung stelle „Gewinnvorab“ dar. Sofern der Gewinn diese Beträge übersteige, stehe der überschießende Betrag zu 90 % der GP … und zu 10 % der Klägerin zu. Sollte der Gewinn die Beträge von DM 130.000,00 bzw. 150.000,00 unterschreiten, bleibe es bei der Tätigkeitsvergütung, die Unterdeckung werde mit zukünftigen überschießenden Gewinnanteilen verrechnet. Für die Laborpraxis der Klägerin werde sie - die Klägerin - mit der Firma G…GmbH einen Dienstleistungsvertrag abschließen, der ihr für die Ausübung der Laborarztpraxis die sachlichen und kaufmännischen Mittel vorhalte.

Durch den „Mietvertrag“ für Gewerberaum vom 29. Juni 1992 vermiete Dr. K… der Klägerin ca. 305 qm Praxisräume zum Zwecke des Betriebs einer Laborarztpraxis ab 01. Juli 1992 zu einem Monatsmietpreis von 4.880,- DM zuzüglich Nebenkosten.

Mit einem „Leistungs- und Teilbetriebsvertrag“ vom 01. Juli 1992 beauftragte die Klägerin die G… GmbH, d...

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