Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Entstehung und Fortbestehen durch erste ärztliche Feststellung. Kontrolle und Vermeidung von Missbrauch durch Krankenkassen. Krankengeldbewilligung. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Meldefrist bzgl Arbeitsunfähigkeit. Ausschlussfrist
Leitsatz (amtlich)
1. § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 regelt lediglich die Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld. Hierfür reicht eine erste ärztliche Feststellung aus. Der Anspruch besteht danach fort, solange bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich fortbesteht (vgl SG Speyer vom 7.4.2014 - S 19 KR 10/13; LSG Essen vom 17.7.2014 - L 16 KR 160/13 - juris RdNr 41; entgegen BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 31/14 R; BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 35/14 R; BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R = BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7).
2. Das Gesetz knüpft den Fortbestand des materiellen Anspruchs auf Krankengeld nicht an die Erfüllung weiterer Obliegenheiten durch den Versicherten. Einen "gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf erneut erforderlichen AU-Feststellung" gibt es im SGB 5 nicht (aA BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 19/14 R - juris RdNr 17 und vom 16.12.2014 - B 1 KR 25/14 R - juris RdNr 16).
3. Anders als § 5 Abs 1 des Entgeltfortzahlungsgesetztes (EFZG) (juris: EntgFG) für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall stellen die für den Anspruch auf Krankengeld maßgeblichen Vorschriften des SGB 5 nicht auf eine ärztliche "Bescheinigung" ab, weder über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit noch über deren voraussichtliche Dauer. Mangels einer gesetzlichen Grundlage ist daher weder für die Entstehung noch für den Fortbestand des Anspruchs auf Krankengeld die Vorlage einer schriftlichen Bescheinigung bzw weiterer Folgebescheinigungen erforderlich (entgegen BSG vom 22.3.2005 - B 1 KR 22/04 R = BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr 6 - juris RdNr 29 und juris RdNr 31).
Orientierungssatz
1. Das Bedürfnis der Krankenkassen nach rechtzeitiger Kontrolle und Vermeidung von Missbrauch kann hinreichend mit den vorhandenen sozialrechtlichen Instrumentarien befriedigt werden.
2. Die Bewilligung von Krankengeld stellt in der Regel einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, sofern Krankengeld für eine bestimmte oder aber auch unbestimmte Zeit gewährt wird.
3. Neben der Meldefrist des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5 finden sich hinsichtlich der Krankengeldgewährung keine weiteren vom Versicherten zu beachtenden Ausschlussfristen im Gesetz.
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.02.2015 bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen, längstens bis zum 30.04.2015.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung von Krankengeld ab dem 01.02.2015 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1977 geborene Antragsteller ist gelernter Informatikkaufmann und seit dem 01.02.2013 bei der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert.
Der Antragsteller wurde am 10.08.2002 Opfer eines Autounfalls, bei dem er verschiedene schwere Verletzungen (u.a. Darmriss, Zwerchfellriss, Pneumothorax und instabile Fraktur des dritten Lendenwirbelkörpers) erlitt. Bei ihm ist ein GdB von 50 anerkannt. Zuletzt vor der hier streitigen Arbeitsunfähigkeit war er vom 28.11.2012 bis zum 31.12.2013 wegen der Diagnosen R52.2 (Sonstiger chronischer Schmerz), F48.0 (Neurasthenie) und F10.1 (Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Schädlicher Gebrauch) arbeitsunfähig. In der Zeit vom 28.11.2012 bis zum 20.03.2013 hat der Antragsteller eine vollstationäre Entwöhnung durchgeführt. Bis zum 06.11.2013 zahlte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Krankengeld. Nach Mitteilung der Beklagten war die Höchstanspruchsdauer für den entsprechenden Krankengeldanspruch am 06.11.2013 erreicht.
Der Antragsteller erhielt bis zum 27.06.2014 Leistungen nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB III). Für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.08.2014 bezog er Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Seit dem 01.08.2014 stand er in einem Arbeitsverhältnis zu der I… GmbH M… als Servicetechniker (IT-S…, Labor …). Dieses Arbeitsverhältnis endete auf Grund einer am 27.08.2014 ausgesprochenen Kündigung in Folge eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs noch während der Probezeit zum 29.08.2014.
Am 27.08.2014 stellte der den Hausarzt vertretende Allgemeinmediziner Dr. K… beim Antragsteller Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose A09.9 (Gastroenteritis) fest und stellte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus, in der er mitteilte, die Arbeitsunfähigkeit bestehe voraussichtlich bis zum 29.08.2014 (Freitag). Arbeitsentgelt erhielt der Antragsteller bis zum 26.08.2014. Für den 28. und 29.08.2014 erhielt er Lohnfortzahlung vom früheren Arbeitgeber.
Am Montag, den 01.09.2014, stellte der Antra...