Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallereignis. Nachweis im Vollbeweis. Infektion mit Covid-19-Virus. intensiver Kontakt zu einer sog Indexperson. sachlicher Zusammenhang. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Nahrungsaufnahme im Pausenraum
Leitsatz (amtlich)
1. Ein intensiver Kontakt zu einer sog Indexperson muss nach Ansicht der Kammer als anspruchsbegründender Umstand im Sinnes eines von außen, auf den Körper einwirkenden Ereignisses im Vollbeweis innerhalb des regelmäßigen Inkubationszeitraums nachgewiesen sein.
2. Nach dem Epidemiologischen Steckbrief zu COVID-19 des Robert Koch Instituts beträgt die regelmäßige Inkubationszeit 5 - 6 Tage bis zum Beginn der Erkrankung.
3. Bei einer Ansteckung während der Mittagspause im Pausenraum ist zu beachten, dass die Nahrungsaufnahme selbst nicht unter den gesetzlichen Schutz der Unfallversicherung fällt.
Orientierungssatz
Grundsätzlich kann zwar auch eine Infektion mit Covid-19-Virus ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs 1 S 2 SGB 7 sein, denn das Eindringen eines Krankheitserregers - hier von Viren - in den Körper ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 (nachfolgend: Covid-19-Virus) als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Der 1960 geborene Kläger infizierte sich im März 2021 mit dem Covid-19-Virus. Ab dem 25.03.2021 befand er sich in ärztlicher Behandlung. Ein Nachweis im PCR-Test erfolgte am 27.03.2021. Es folgte eine stationäre Behandlung im Klinikum L vom 05.04.2021 bis 15.04.2021 (vgl. Endgültiger Arztbrief des J1 vom 15.04.2021). Eine Mutationsanalyse zeigte die B1.1.7-Variante (sog. „England-Variante“). Beim Kläger bestehen - nach eigenen Angaben - als Folge seiner Covid-19-Erkrankung insbesondere Atemnot und Schlafprobleme sowie ein Zustand körperlicher Erschöpfung.
Zum fraglichen Zeitpunkt war der Kläger als Montageelektriker bei der Firma C GmbH in M beschäftigt.
Mit Schreiben vom 05.07.2021 meldete die Krankenkasse des Klägers dessen SARS-CoV-2-Infektion als möglichen Arbeitsunfall. Daraufhin führte die Beklagte Ermittlungen, u.a. am Arbeitsplatz des Klägers (vgl. Unfalluntersuchungsbericht vom 30.11.2021), Befragung des Klägers (vgl. Fragebogen vom 25.07.2021) und des Arbeitsgebers (vgl. Fragebogen vom 29.09.2021), durch.
Die Beklagte stellte fest, dass im Betrieb des Klägers 11 weitere Beschäftigte, die teilweise in dessen unmittelbaren Arbeitsumfeld tätig waren, im hier fraglichen Zeitraum positiv auf das Covid-19-Virus getestet wurden. Im Rahmen der täglichen Sicherheitsgespräche mit einer Dauer von ca. 10 Minuten und einer Anzahl von vier Mitarbeitern unter Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 m in der Produktionshalle, manchmal auch im Pausenraum, hatte der Kläger Kontakt zum Vorarbeiter J2, dessen Covid-19-Infektion am 24.03.2021 durch ein positives Testergebnis bestätigt wurde und bei dem erste Symptome einer Erkrankung am 23.03.2021 aufgetreten waren. Ferner befand sich der Montageplatz des Klägers in ca. vier bis fünf Metern Entfernung zum dem des Kollegen R, der am 19.03.2021 positiv getestet wurde und bei dem Symptome einer Erkrankung am 18.03.2021 aufgetreten waren. Darüber hinaus führte der Kläger mit A (Symptome am 24.03.2021, positiv getestet am 27.03.2021), F (Symptome am 29.03.2021, positiv getestet am 04.04.2021) und K1 (keine Symptome, positiv getestet am 08.04.2021) gemeinsame Tätigkeiten bei der Montage aus. Im Bereich der Elektromontage waren eins bis zwei Elektriker an einem Motor damit beschäftigt, diese entsprechend zu verkabeln. Jeder Elektriker verkabelte eine Seite des Motors. Ferner bestand eine Fahrgemeinschaft mit dem Kollegen T, der am 27.02.2021 Symptome einer Erkrankung zeigte und am 31.03.2021 positiv getestet wurde.
Laut Auskunft des Arbeitsgebers (vgl. Fragebogen vom 21.09.2021) entsprachen die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen den AHA+L Regeln (Abstand halten, Handhygiene einhalten und eine Alltagsmaske tragen sowie Lüften). Alle Beschäftigte waren angehalten, soweit der Abstand von 1,5 m nicht eingehalten werden konnte, mindestens eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung (OP-Maske) zu tragen. Um die Abstandsregeln einzuhalten, wurde die Nutzung der Pausenräume auf maximal vier Personen begrenzt. Die Pausenzeiten (Mittagspause 30 min) wurden versetzt wahrgenommen (vgl. Bilddokumentation: Aktuelle Verhaltensregeln Pausenräume). Teilweise wurden die Pausen auch am Arbeitsplatz selbst verbracht. Die Belüftung erfolgte im Betrieb über eine Lüftungsanlage.
Mit Bescheid vom 06.05.2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Covid-19-Infektion des Klägers als Arbeitsunfall ab, da ein stattgehabter intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (Indexperson) nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte festgestellt werden können und sich keine Anhaltspunkt...