Entscheidungsstichwort (Thema)

Auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes ist ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt

 

Orientierungssatz

1. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes ist ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Das besondere öffentliche Interesse muss gerade an der sofortigen Vollziehung bestehen.

2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt eine Ausnahme vom Regelfall des § 86a Absatz 1 SGG dar, wonach auch der Rechtsbehelf gegen eine rechtmäßige Entscheidung grundsätzlich solange aufschiebende Wirkung hat, bis abschließend in der Hauptsache entschieden worden ist. Mit der Feststellung, dass der Rechtsbehelf wegen Anfechtung der behördlichen Verfügung kaum Aussicht auf Erfolg hat, lässt sich das besondere öffentliche Vollzugsinteresse allein nicht begründen.

3. Fiskalinteressen können das Vollzugsinteresse begründen. Insoweit ist allerdings (regelmäßig) Voraussetzung, dass die Realisierung der geltend gemachten Forderung, die ohne größeren Aufschub gegebenenfalls auch vollstreckt werden soll, später ernsthaft in Frage steht, was die Verwaltung gegebenenfalls glaubhaft machen muss. Bei Geldforderungen ist ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung nur dann gegeben, wenn deren Vollstreckung gefährdet erscheint. Ein bloßer Hinweis auf den Zinsvorteil reicht indes nicht aus, um den Sofortvollzug erfolgreich zu begründen.

 

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 17. Oktober 2011 (Az.: S 28 AS 741/11) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Oktober 2011 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

2. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung in Höhe der Selbstbeteiligung bei der Rechtsschutzversicherung in Höhe von 150,00 EUR ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt D. aus E. beigeordnet.

 

Gründe

1. Der Antragsteller begehrt die Aufhebung der am 25. November 2011 vom Antragsgegner getroffenen schriftlichen Anordnung über die sofortige Vollziehung des Erstattungsbescheides vom 12. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Oktober 2011, mit dem der Antragsgegner die Zahlung von 2.488,08 EUR verlangt.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Hiermit sind die Fallgruppen von § 86a Abs. 2 SGG angesprochen, so dass dieser Vorschrift neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen von § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung entfällt, auch die Fälle der Wiederherstellung der aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) unterfallen, also solche, in denen - wie hier - die Verwaltung zuvor den Sofortvollzug angeordnet hatte (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 05.03.2003 - L 3 AL 979/02 ER - zitiert nach juris). Der Gesetzgeber hat auch bei Sofortvollzugsanordnungen einstweiligen Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einräumen wollen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2003 - L 13 AL 2374/03 - zitiert nach juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.02.2006 - L 13 AL 4566/05 ER-B - zitiert nach juris). Die bloße Aufhebung der Vollziehbarkeitsanordnung sieht der insoweit einschlägige § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.09.2007 - L 7 AS 183/07 ER -).

Sinngemäß hat der Antrag des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz daher zum Gegenstand, dass die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 17. Oktober 2011 (Az.: S 28 AS 741/11) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Oktober 2011 wegen der Erstattung von Leistungen in Höhe von 2.488,08 EUR wiederhergestellt wird.

Der so verstandene Antrag des Antragstellers ist zulässig und begründet.

Nach § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen leitet sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ab. Sie beruht auf der Garantie eines effizienten Rechtsschutzes und ist ein fundamentaler Grundsatz öffentlicher Prozesse. Er verhindert, dass die öffentliche Hand irreparable Maßnahmen durchführt und vollendete Tatsache schafft, bevor die Gerichte die Rechtmäßigkeit überprüft haben. Der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kann es in Ausnahmefällen gerechtfertig...

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