Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Berücksichtigung eines in einer Werkstatt für Behinderte kostenlos bereitgestellten Mittagessens bei der Bedarfsermittlung

 

Orientierungssatz

1. Erhält ein Behinderter in einer Einrichtung (hier: Werkstatt für Behinderte) eine kostenlose Mahlzeit, so mindert sich der Anspruch auf Grundsicherung wegen Erwerbsminderung nach dem SGB 12 um diesen Vorteil, da insoweit ein Grundsicherungsbedarf wegen anderweitiger Deckung nicht besteht. Dabei ist ein werktäglicher Betrag in Höhe von 1,65 EUR vom Regelbedarf in Abzug zu bringen.

2. Nutzt ein behinderter Grundsicherungsempfänger einen für ihn kostenfrei im elterlichen Haushalt zur Verfügung stehenden Wohnraum, so kommt die Gewährung von Unterkunftskosten als Grundsicherungsleistung nicht in Betracht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.04.2011; Aktenzeichen B 8 SO 18/09 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) bzw. ab 1. Januar 2005 nach dem 12. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die am 19. Mai 1969 geborene Klägerin lebt im Haushalt ihrer Eltern. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung 100 und den Merkzeichen G, H, RF. Wochentags arbeitet sie in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), wo sie jeweils eine vollständige Mahlzeit in Form eines Mittagessens erhält. Seit 1. Januar 2003 bezieht sie vom Beklagten Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG bzw. ab dem 1. Januar 2005 nach dem 4. Kapitel SGB XII.

Seit Beginn der Grundsicherungsgewährung war wegen der Anrechnung von Kindergeld bei den gewährten Leistungen ein Widerspruchsverfahren anhängig. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 28. April 2005 (Az.: 5 C 28/04) entschieden hatte, dass an die Eltern gezahltes Kindergeld kein im Sinne von § 3 Abs. 2 GSiG einzusetzendes Einkommen des Kindes ist, setzte der Beklagte durch Bescheide vom 16. September 2005 die der Klägerin zu gewährenden Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum Januar bis Juni 2003 und Juli 2003 bis Dezember 2004 sowie durch Bescheid vom 15. September 2005 die Leistungen für den Zeitraum Januar 2005 bis 31. Januar 2006 neu fest. Dabei wurde jeweils wegen der kostenlosen Mahlzeit in der WfbM eine häusliche Ersparnis iHv 35,10 EUR monatlich als Einkommen angerechnet. Kosten der Unterkunft wurden überhaupt nicht berücksichtigt.

Gegen diese Bescheide erhob die Mutter der Klägerin als ihre Betreuerin mit Schreiben vom 28. September 2005 Widerspruch, mit welchem sie die Bewilligung eines Regelsatzes iHv monatlich 345,00 EUR anstatt gewährter 276,00 EUR begehrte. Ferner wandte sie sich gegen die Anrechnung des Betrages von 35,55 EUR monatlich und verlangte die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft. Nachdem die Klägerin den Widerspruch auf die Berücksichtigung einer häuslichen Ersparnis und die Nichtberücksichtigung von Unterkunfts- und Heizkosten beschränkt hatte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2006 den Widerspruch zurück.

Daraufhin hat die Klägerin am 3. April 2006 Klage erhoben. Nach ihrer Auffassung kann der Wert des Mittagsessens in der WfbM nicht als Einkommen des Leistungsberechtigten angesehen werden, weil dadurch keine Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Vielmehr sei andernfalls eine entsprechende Verpflegung durch ihre Eltern vorgenommen worden. Eine Ersparnis sei bei ihr daher nicht gegeben. Kosten der Unterkunft und Heizkosten seien zu berücksichtigen, weil ihren Eltern Mehraufwendungen entstünden. Diese könnten generell auch ein Kostgeld bzw. Haushaltsgeld von ihr verlangen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 15. September 2005 und 16. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2006 zu verurteilen, der Klägerin Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung von häuslicher Ersparnis für das kostenlose Mittagessen und einschließlich anteiliger Kosten der Unterkunft sowie anteilige Heizkosten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten (Leistungsakte, Widerspruchsakte), welche beigezogen wurden und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 15. und 16. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2006 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung ohne Berücksichtigung des ihr von der WfbM zur Verfügung gestellten kostenfreien Mittagessens.

Aufgrund ihrer Behinderung gehörte sie zu dem Personenkreis der ...

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