Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Befreiung. Versicherungspflicht. selbständiger Rechtsanwalt. berufsständische Versorgung. missbräuchliche Rechtsausübung. widersprüchliches Verhalten
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antragspflichtversicherter iS des § 4 Abs 2 SGB 6, dessen Versicherungsverhältnis erst nach dem Beginn der Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungswerk begründet worden ist, kann sich dann jedenfalls nicht gemäß § 6 Abs 1 Nr 1 SGB 6 von der Antragspflichtversicherung befreien lassen, wenn seit dem Antrag keine wesentliche Änderung seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist.
2. Ein widersprüchliches und deshalb mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbares Verhalten - venire contra factum proprium - ist auch im Sozialversicherungsrecht unzulässig und führt zum Verlust des geltend gemachten Rechts. In einem solchen Fall übt der Versicherte das ihm grundsätzlich zustehende Recht, hier das Gestaltungsrecht aus § 6 Abs 1 Nr 1 SGB 6, missbräuchlich aus.
3. Die Rechtsprechung des BSG zum AVG (vgl BSG vom 28.4.1982 - 12 RK 30/80 = SozR 2400 § 7 Nr 3; BSG vom 9.12.1982 - 12 RK 15/80 = SozR 2400 § 7 Nr 4) ist insoweit auch unter Geltung des SGB 6 fortzuführen (entgegen Bayerisches LSG vom 6.5.1999 - L 14 RA 42/98).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Sprungrevision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Der 1957 geborene Kläger ist seit Januar 1989 als zugelassener Rechtsanwalt selbständig tätig. Seit 1. März 1989 ist er Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen. Im April 1996 wurde der Kläger zudem für die Dauer seiner Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht H. zum Notar bestellt.
Mit am 11. Mai 1989 bei der Beklagten eingegangenem Antrag beantragte der Kläger die Pflichtversicherung von Selbständigen bei der Beklagten. Daraufhin wurde mit Bescheid vom 31. Mai 1989 von der Beklagten festgestellt, dass der Kläger aufgrund seines Antrags ab 1. Mai 1989 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass die Versicherungspflicht für die Dauer der selbständigen Erwerbstätigkeit bestehe. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein.
Am 2. Januar 2003 beantragte der Kläger die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit sofortiger Wirkung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 2003 ab und führte aus, eine Befreiung von der Versicherungspflicht sei nicht möglich. Der Kläger unterliege der Versicherungspflicht aufgrund seines im Mai 1989 gestellten Antrags. Die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk habe bereits seit 1. März 1989 bestanden. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht komme nicht in Betracht für Antragsversicherte, die bereits vor Begründung der Antragsversicherung Pflichtmitglied in einem berufsständischen Versorgungswerk gewesen seien und damit bewusst und freiwillig eine doppelte Sicherung geschaffen hätten. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, der Standpunkt der Beklagten ergebe sich nicht aus der gesetzlichen Regelung. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück unter Wiederholung der Begründung des angefochtenen Bescheides.
Der Kläger hat am 16. Januar 2004 Klage erhoben und trägt vor, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei veraltet und nicht überzeugend. Sein freier Wille müsse grundsätzlich Vorrang haben, es sei nicht einzusehen, dass er zwar in die gesetzliche Rentenversicherung eintreten könne, jedoch nicht aus freien Stücken wieder austreten könne. Insoweit sei auch ein Verstoß gegen Verfassungsrecht zu sehen. Zudem habe bereits das Bayerische LSG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 abweichend von der Rechtsprechung des BSG entschieden. Dieser Rechtsauffassung sei zu folgen.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2003 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger ab Antragstellung vom 2. Januar 2003 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien,
hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und nimmt Bezug auf die Begründung des Widerspruchsbescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versi...