Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung während des gelockerten Strafvollzugs
Orientierungssatz
Für die Ausnahme vom Ausschluss von Grundsicherungsleistungen gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB 2 kommt es nicht auf die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit an, sondern darauf, ob eine solche Tätigkeit grundsätzlich ausgeübt werden kann und darf (Anschluss BSG Urteil vom 24. Februar 2011, B 14 AS 81/09 R). Ist der Maßregelvollzug eines verurteilten suchtkranken Straftäters während der Resozialisierungsphase dahin gelockert, dass der Vollzug nur noch ambulant durchgeführt wird und er zuhause sein kann, so gilt die Unterbringung nur formal, wenn es ihm ausdrücklich erlaubt ist, einer Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich nachzugehen. Dies führt zur Berechtigung von Leistungen des SGB 2 gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB 2.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03. Dezember 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2013 verpflichtet, dem Kläger im Zeitraum 01. Oktober 2012 bis 08. Januar 2013 Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung des bereits Geleisteten und des vorhandenen Einkommens in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gemäß § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II während der stationären Unterbringung des Klägers in einer Entzugsklinik im Rahmen eines Maßregelvollzugs, denn der Kläger wohnte aufgrund von Vollzugslockerungen außerhalb der Klinik und hätte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in relevantem Umfang erwerbstätig sein können.
Der Kläger, geboren im Jahr 1977, ist verurteilter suchtkranker Straftäter. Seit dem 20. Juli 2011 war er im Rahmen des Maßregelvollzugs stationär in der G. H. zur forensischen Behandlung untergebracht. Seit April 2012 wurde der Kläger regelmäßig an den Wochenenden beurlaubt und konnte zu seiner Lebensgefährtin in I. fahren. Nach Mitteilung der Klinik wurde der Maßregelvollzug im September 2012 während der Resozialisierungsphase weitergehend dahin gelockert, dass der Kläger durchgehend auch in der Woche zu Hause sein konnte und der Vollzug nur noch ambulant durchgeführt wurde. Nach Mitteilung der Klinik hätte der Kläger seit September 2012 einer Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nachgehen können. Dieser Schritt sei auch von der zuständigen Staatsanwaltschaft genehmigt gewesen. Formal war der Kläger vom 29. Oktober 2012 bis 25. November 2012 und erneut vom 26. November 2012 bis zum 20.12.2012 vom Maßregelvollzug beurlaubt. Er erhielt seitens der Klinik ein Taschengeld in Höhe von rund 100,00 EUR monatlich mindestens bis November 2012. Der Kläger übte keine Erwerbstätigkeit aus.
Am 30. Oktober 2012 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte gab zunächst Gutscheine aus und übernahm vorläufig auch einen Mietanteil, wobei sich die Leistungen auf insgesamt 522,00 EUR beliefen. Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 3. Dezember 2012 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag des Klägers unter Hinweis auf einen Leistungsausschuss wegen stationärer Unterbringung gemäß § 7 Abs 4 SGB II ab und verlangte die vorläufig erbrachten Leistungen in Höhe von 522,00 EUR zurück. Mit Schreiben vom 07. Dezember 2012 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Noch während des laufenden Widerspruchsverfahrens setzte das Landgericht H. die weitere Vollstreckung des Maßregelvollzugs ab dem 09. Januar 2013 zur Bewährung aus. Seit diesem Zeitpunkt gewährt der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II (Bescheid vom 16. Januar 2013). Eine Leistungsgewährung von Oktober 2012 bis zum 08. Januar 2013 lehnte der Beklagte jedoch weiterhin ab und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2013 als unbegründet zurück. Am 08. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor, seine praktisch dauerhafte Beurlaubung im Herbst 2012 sei Bestandteil des Vollzugskonzepts im Rahmen des Maßregelvollzugs gewesen und habe seiner Reintegration in die Gesellschaft gedient. Es habe sich dabei nicht um einen offenen Vollzug gehandelt, bei dem der Betroffene abends in die Einrichtung zurückkehre. Es habe sich auch nicht um eine allgemeine Vollzugslockerung für Behördengänge oder andere private Erledigungen gehandelt, sondern um eine dauerhafte Beurlaubung, die dem Freigängerstatus zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichzusetzen sei. Er habe während dieser Zeit keine Sachleistungen in Form von Verpflegung und Unterkunft seitens der Maßregeleinrichtung erhalten, sondern sei wirtschaftlich auf sich allein gestellt gewesen. Es sei selbstverständlich, dass Personen, die stationär untergeb...