Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten. Unterhaltsvermutung. Anwendung des Freibetrages für jeden einkommenserzielenden Verwandten
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Haushaltsgemeinschaft iS des § 9 Abs 5 SGB 2 ist regelmäßig anzunehmen, wenn erwachsene Kinder kostenfrei im Hause ihrer Eltern wohnen.
2. Bei der Berechnung der nach § 9 Abs 5 SGB 2 vermuteten Leistungen an den Hilfebedürftigen ist bei jedem Verwandten, der Einkommen bezieht, der Freibetrag nach § 1 Abs 2 Alg II-VO (juris: AlgIIV 2008) abzuziehen.
Tenor
Die Bescheide vom 28. Juli 2009 und vom 10. August 2009 sowie der Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2010 werden teilweise aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Monat August 2009 zusätzliche Leistungen in Höhe von monatlich 185,05 € und für die Monate September 2009 bis Januar 2010 zusätzliche Leistungen in Höhe von monatlich 184,94 € zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger die zur Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ungekürzter Höhe ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen seiner Eltern aufgrund der Vermutung des § 9 Abs 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Kläger steht seit 2005 beim Beklagten im Leistungsbezug. Er wohnt mietkostenfrei im Haus seiner Eltern. In einer Erklärung vom 1. April 2005 versicherten die Eltern des Klägers gegenüber dem Beklagten, dem Kläger aufgrund ihrer eigenen Einkommensverhältnisse keine weitere Unterstützung außer Unterkunft und Verpflegung gewähren zu können. Der Beklagte errechnete daraufhin die dem Kläger zu gewährende Leistung ohne Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung und unter Anrechnung von Unterhaltsleistungen aufgrund der Vermutung nach § 9 Abs 5 SGB II. Dieses Vorgehen des Beklagten wurde vom Kläger zunächst akzeptiert.
Im Folgebewilligungsantrag vom 16. Januar 2007 gab der Kläger als Änderung in seinen Einkommensverhältnissen an, dass seine Eltern nunmehr auch seine Schwester finanziell unterstützen würden. In seinem Bewilligungsbescheid vom 18. Januar 2007 berücksichtigte der Beklagte diesen Umstand nicht.
Mit Schreiben vom 25. Juni 2009 erklärten der Beklagte und seine Eltern, in einer Wohngemeinschaft und nicht in einer Haushaltsgemeinschaft zu leben. Dementsprechend machte er in seinem Folgebewilligungsantrag vom 30. Juni 2009 kenntlich, dass seine Eltern zum 25. Juni 2009 aus der Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaft ausgezogen seien.
Im Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 2009 rechnete der Beklagte dennoch aufgrund der Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs 5 SGB II Leistungen der Eltern an den Kläger als Einkommen an. Diese vermuteten Leistungen der Eltern an den Kläger betrugen laut Berechnungsbogen für den Bewilligungszeitraum August 2009 bis Januar 2010 einen Betrag von monatlich 215,05 €. Nach Bereinigung dieses Betrages um die Versicherungspauschale iHv 30,- € ergab sich ein anzurechnendes monatliches Einkommen des Klägers iHv 185,05 €. Mithin bewilligte der Beklagte dem Kläger monatlich 173,95 € (Differenz zwischen der damaligen Regelleistung von 359,- € und dem anzurechnenden Einkommen). Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 5. August 2009 Widerspruch.
In einem Änderungs- und Aufhebungsbescheid vom 10. August 2009 korrigierte der Beklagte seinen Bescheid aufgrund einer Neuberechnung nach eingereichter Lohnabrechnung des Vaters des Klägers und bewilligte nunmehr für den Zeitraum September 2009 bis Januar 2010 Leistungen iHv 174,06 € monatlich. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 13. August 2009 Widerspruch.
Am 16. November 2009 lies der Beklagte einen unangekündigten Hausbesuch beim Kläger durchführen.
Mit Bescheid vom 14. Januar 2010 wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Der Hausbesuch habe bestätigt, dass der Kläger mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft lebe und dass die Eltern ihm finanzielle oder geldwerte Unterstützung gewährten. Es sei nicht glaubhaft, dass sich der Kläger von 110,- € durchschnittlichen Barabhebungen im Monat selbst unterhalten könne. Daher sei weiterhin die Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs 5 SGB II anzuwenden; (vermutete) Leistungen der Eltern müssten dem Kläger als Einkommen angerechnet werden.
Am 15. Februar 2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Er begründet diese damit, dass der Beklagte nicht positiv festgestellt habe, dass er und seine Eltern im Sinne einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft "aus einem Topf" wirtschaften würden. Als Vegetarier sei der Kläger überdies in der Lage, sich sehr preisgünstig zu ernähren. Überdies zahle der Kläger seit August 2009 einen monatlichen Betrag iHv 35,00 € an seine Eltern für Heizkosten (30,- €) und Telefonnutzung (5,- €).
In einem Schreiben vom 27. April 2010 versicherten die Eltern des Klägers gegenüber dem Gericht, dass der Kläger ihnen den Betrag von 35,- € im Monat zahle und dass der Kläger darüber...