Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Bezugsberuf nach längerer Arbeitslosigkeit
Leitsatz (amtlich)
Bezugsberuf für die Prüfung einer Minderung oder Gefährdung der Erwerbsfähigkeit iS des § 10 Abs 1 Nr 1 des 6. Sozialgesetzbuches Gesetzliche Rentenversicherung (SGB 6) ist auch bei einer längeren Arbeitslosigkeit des Versicherten (hier annähernd 10 Jahre) die zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht nur kurzfristig ausgeübte Tätigkeit (entgegen LSG Chemnitz vom 7.1.2014 - L 5 R 626/12 = juris RdNr 19).
Orientierungssatz
Der Begriff der im Gesetz nicht definierten Erwerbsfähigkeit iS des § 10 Abs 1 Nr 1 SGB 6 ist als Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können. Nicht hingegen sind die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind (vgl BSG vom 17.10.2006 - B 5 RJ 15/05 R = SozR 4-2600 § 10 Nr 2 und vom 29.3.2006 - B 13 RJ 37/05 R = SozR 4-2600 § 10 Nr 1).
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2013 verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 4. Juli 2012 auf die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte ist verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben.
Der am 30. September 1964 geborene Kläger verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Lokschlosser Dampf/Diesel. Im Anschluss hieran war er von 1983 bis 1985 als Dampflokheizer beschäftigt. In der Zeit von 1986 bis 1990 studierte der Kläger an der Offiziershochschule der Marine als Schiffsmaschinen-Ingenieur; einen Abschluss erreichte er nicht. Von 1990 bis 1994 war als Instandhaltungsmechaniker Rangiertechnik beschäftigt. Im Rahmen einer Umschulung von 1994 bis 1996 erwarb der Kläger einen Berufsabschluss als Trockenbaumonteur und war im Anschluss an diese Ausbildung von 1996 bis 30. Oktober 2003 als Trockenbaumonteur und „Allrounder“ in einem Bauunternehmen versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 1. November 2003 ist der Kläger arbeitslos.
Am 4. Juli 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Berufliche Rehabilitation). Zur Begründung gab er u.a. an, dass er wegen der Beschwerden der Lendenwirbelsäule ständige Schmerzen in den Beinen habe und nicht lange Stehen und Gehen könne. Außerdem leider er unter einem Tinnitus und könne deswegen keine laute Umgebung ertragen, da das Ohrengeräusch ein kreischender Ton sei. Außerdem leider er seit 2006 unter Bluthochdruck und habe schlechte Cholesterinwerte.
Die Beklagte zog das Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Stralsund vom 22. Mai 2012 und den Entlassungsbericht der stationären Rehabilitation in der MEDIAN Klinik B. S. vom 31. Januar bis zum 21. Februar 2013 bei, holte einen Befundbericht der behandelnden FÄ für Innere Medizin Dr. XXX vom 20. Juli 2012 ein und veranlasste eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes. Der Gutachter Dr. XXX stellte dort fest, dass der Kläger zwar den zuletzt ausgeübten Beruf eines Trockenbauers nicht mehr weiterhin verrichten können. Er sei allerdings in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen und im Sitzen, in Tages-, Früh- und Spätschicht unter Beachtung weiterer im Entlassungsbericht der M-Klinik genannten Einschränkungen (ohne ausdauernde Zwangshaltungen, ohne schweres heben und Tragen über 15 Kg, ohne häufiges Hocken und Knien, ohne häufiges Klettern und Steigen unter Absturzgefahr) vollschichtig zu verrichten.
Mit Bescheid vom 16. April 2013 lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Leistungen ab, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei, weil der Kläger in der Lage sei, eine zumutbare Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin auszuüben.
Den hiergegen am 10. Mai 2013 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2013 als unbegründet zurück. Zur Begründung - auf die im Übrigen zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen wird - führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vom Kläger körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel und ohne Zwangshaltungen für sechs Stunden und mehr verrichtet werden könnten, zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben nicht erforderlich seien. Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sei auf die bisherige Tätigkeit abzustellen. Dies sei grundsätzlich der zuletzt ausgeübte Beruf. Es seien aber auch die beruflichen Tä...