Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Elterngeld Plus. Nichtberücksichtigung in Höhe der Hälfte des nach § 2 Abs 1 BEEG berücksichtigten Erwerbseinkommens bis zu einer Höhe von 150 Euro monatlich. Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheides

 

Leitsatz (amtlich)

Die Freibetragsregelung in § 10 Abs. 5 Satz 2 Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetz (BEEG) ist auch nach ergangener Elterngeldbewilligung anwendbar, die auf einen Schätzungsbescheid des Finanzamts gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) beruht, obwohl nach den Feststellungen des Grundsicherungsträgers im betreffenden Kalenderjahr tatsächlich kein (nach § 11 Abs. 1 SGB II) zu berücksichtigendes Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielt worden ist.

Der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 Satz 2 BEEG kann aufgrund der unterschiedlichen Regelungen zur Feststellung von Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Einkommenssteuergesetz (EStG) und im SGB II bzw. der Arbeitslosengeld II-Verordnung auch nicht im Wege der teleologischen Reduktion eingeschränkt werden.

 

Orientierungssatz

1. Elterngeld ist beim Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Rahmen des § 10 Abs. 5 BEEG zu berücksichtigen. Bei der Ermittlung der im Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Gewinnauskünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit des Grundsicherungsberechtigten sind gemäß § 2d Abs. 2 S. 1 BEEG die entsprechenden im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinne anzusetzen.

2. Die Feststellungen des Finanzamtes zur Einkommenshöhe haben für die Elterngeldstelle Bindungswirkung.

3. Der Gesetzeszweck rechtfertigt auch in Fällen von Schätzungen des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit durch das Finanzamt keine Abweichung vom Wortlaut der Norm.

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 22. April 2016, 06. Juni 2016 und 09. August 2016 unter Aufhebung des Bescheides vom 03. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2017 verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 01. April 2016 bis 30. September 2016 weitere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 150 EUR zu gewähren.

2. Der Beklagte hat den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu bewilligenden Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01. April bis 30. September 2016 und insbesondere über die vollständige Berücksichtigung von Elterngeld als Einkommen.

Die im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähigen Kläger zu 1 und 2 sind verheiratet und bezogen bereits in der Vergangenheit mit ihren sechs Kindern, den Klägern zu 3 bis 8, vom Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Die Kläger bewohnen ein Haus zur Miete, wofür sie monatlich 500 EUR Nettokaltmiete und 130 Betriebskosten zu entrichten haben. Heizkosten entstehend nach Betankung (im streitgegenständlichen Zeitraum am 05. April 2016 [500 Liter] und am 15. Juli 2016 [3.839 Liter]) und werden innerhalb von 20 Tagen nach der Lieferung fällig (376,52 EUR im April 2016 und im August 2016 in Höhe von 2.070,04 EUR; Bl. 1910 und 2131 VA). Der Kläger zu 1 ist selbständig erwerbstätig. Im Rahmen der vorläufigen und endgültigen Leistungsbewilligung berücksichtigte der Beklagte in der Vergangenheit aufgrund von Verlusten bzw. nur geringfügigen Gewinnen aus der selbständigen Erwerbstätigkeit kein Erwerbseinkommen beim Kläger zu 1. Das für die Kläger zu 1 und 2 zuständige Finanzamt erließ am 27. Oktober 2014 einen Schätzungsbescheid gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) wegen Nichtabgabe der Einkommenssteuererklärung und schätzte das Einkommen des Klägers zu 1 aus selbständiger Tätigkeit für das Jahr 2013 auf 17.000 EUR. Auch für das Folgejahr 2014 erfolgte nach einer Mitteilung des Finanzamts eine Schätzung (19.000 EUR).

Mit Bescheid vom 09. Dezember 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2016 vorläufig Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in unterschiedlicher Höhe (ab April in Höhe von monatlich 1.647 EUR) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und des Einkommens der Kläger aus Kindergeld in Höhe von monatlich 1.239 EUR. Erwerbseinkommen berücksichtigte der Beklagte aufgrund der Prognose des Klägers zu 1 (monatliche Einnahmen: 150 EUR und monatliche Ausgaben: 325 EUR) erneut nicht.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales bewilligte dem Kläger zu 1 nach der Geburt des Klägers zu 6 am 21. Oktober 2014 mit Bescheid vom 08. März 2016 für die ersten 24 Lebensmonate (LM) des Kindes Elterngeld in Höhe von monatlich 471,16 EUR (halber Betrag), wobei er für die ersten 18 Monate jeweils 321,16 EUR zur Prüfung etwaiger Erstattungsansprüche des Beklagten einbehielt und an den Kläger zu 1 am 24. März 2016 Elterngeld in Höhe 2.700 EUR (18 x 150 EUR) auszahlte. Für die Lebensmonate 19 bis 24 zahlte das Landesamt - beginnend ab dem 21. April 2016 und bis zum 2...

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