Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Zurechnung von Maßnahmen zur Verhütung einer Schwangerschaft ≪hier Sterilisation≫ zur Krankenbehandlung. Voraussetzung. Kostenerstattungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Maßnahmen zur Verhütung einer Schwangerschaft (hier Sterilisation) können ausnahmsweise dann der Krankenbehandlung zuzurechnen sein, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um von der Versicherten die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung ihres körperlichen oder geistig-seelischen Gesundheitszustandes abzuwenden (Anschluss an BSG vom 13.02.1975 - 3 RK 68/73 = BSGE 39, 167 = SozR 2200 § 182 Nr 9).
Orientierungssatz
Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl zuletzt BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R = BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4).
Tenor
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 10.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.04.2008 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 435,00 € zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Erstattung der Kosten einer ambulant durchgeführten Sterilisation.
Die am ... geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Die seit Mai 1994 verheiratete Klägerin ist Mutter einer am ... geborenen Tochter. Während dieser Schwangerschaft erkrankte die Klägerin an insulinpflichtigem Schwangerschaftsdiabetes. Die Tochter wurde vier Wochen zu früh geboren, litt bei der Geburt an Unterzucker und ist heute durch eine Sprachstörung behindert. Im November 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Sterilisation (vgl. Bl. 2 der Verwaltungsakten). In dem Attest der Frauenärztin Dr. L. vom 05.11.2007 wird ausgeführt, dass aus kardiologischer sowie aus gynäkologischer Sicht von einer Schwangerschaft dringend abgeraten werden müsse. Bei der Klägerin liege ein Zustand nach insulinpflichtigem Gestationsdiabetes ab der 13. Schwangerschaftswoche, Adipositas, arterielle Hypertonie, Mitralklappeninsuffizienz und Asthma bronchiale vor. Um definitiv nicht schwanger zu werden, habe sich die Klägerin im Mai 2007 eine IUS Mirena (Spirale) legen lassen. Es sei jedoch zu einer vollständigen Dislokation gekommen, weshalb von einem kontrarezeptiven Schutz nicht mehr ausgegangen werden könne. Eine neue Einlage könne sich die Klägerin finanziell nicht leisten.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) nahm durch Dr. W. im Dezember 2007 (Bl. 5 der Verwaltungsakten) dahingehend Stellung, dass das Vorliegen eines Krankheitsbildes, welches das in § 24b Abs. 1 SGB V formulierte Kriterium “durch Krankheit erforderlich„ erfülle und per se die Sterilisation der Versicherten notwendig mache, auf Basis der vorliegenden Unterlagen nicht nachzuvollziehen sei. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10.12.2007 (Bl. 7 der Verwaltungsakten) die beantragte Kostenübernahme ab, wogegen die Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2007 (Bl. 14 der Verwaltungsakten) Widerspruch einlegte. Zur Begründung führte sie aus, dass sie während ihrer Schwangerschaft im Jahr 2001 unter Diabetes gelitten habe und bereits am Anfang viermal täglich Insulin habe spritzen müssen. Am Schluss der Schwangerschaft seien über 100 Einheiten Insulin über den Tag verteilt erforderlich gewesen. Im März 2007 habe sie sich wegen einer akuten Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) in stationärer Krankenhausbehandlung befunden. Auch damals habe sie wieder Insulin spritzen müssen. Die Herzrhythmusstörungen und auch der Bluthochdruck seien schlimmer geworden. Bereits im Jahre 2006 sei im Zusammenhang mit einer Entzündung der Gallenblase eine Sterilisation diskutiert worden. Bei dem Medikament, das sie gegen die Mitralklappeninsuffizienz einnehme, sei eine Schwangerschaft auf jeden Fall zu verhindern.
Der MDK blieb durch Dr. D. im Januar 2008 bei seiner Einschätzung (Bl. 18 der Verwaltungsakten). Es könne kein Krankheitsbild, das per se die Sterilisation der Klägerin notwendig mache, festgestellt werden. Der angestrebte Empfängnisschutz könne auch durch andere Verhütungsmethoden bewirkt werden. Die Beklagte wies den klägerischen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17.04.2008 (Bl. 39 der Akten) als unbegründet zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 30.04.2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart. Die Klägerin trägt zur Begründung vor, dass ihre Familienplanung abgeschlossen sei. Andere Verhütungsmethoden stünden ihr nicht zur Verfügung. Kondome seien zu unsicher, die Pille könne sie bei ihren Erkrankungen nicht nehmen, die eingesetzte Spirale sei verrutscht.
Nachdem die Klägerin am 27.01.2009 die gewünschte Sterilisation im R.-B.-K. hat ambulant durchführen lassen und dafür 435,00 € hat aufwenden müssen, beantragt sie...