Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeldes. verspätete Meldung. frühzeitige Arbeitssuche. Unverzüglichkeit. Handlungsfrist. Berechnung der Verspätungstage. Obliegenheitsverletzung. Verschulden des Arbeitnehmers. Informationspflicht des Arbeitgebers. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Um die Verfassungskonformität des § 140 SGB 3 zu wahren, ist dem Arbeitssuchenden für seine Meldung eine Handlungsfrist einzuräumen.

2. Eine Handlungsfrist von sieben Kalendertagen erweist sich im Fall einer dreimonatigen Kündigungsfrist als angemessen.

3. § 140 SGB 3 setzt keine fortwährende Verletzung der Obliegenheit aus § 37b SGB 3 voraus.

4. Die einmalige Verletzung der Obliegenheit aus § 37b SGB 3 hat die Zurechnung von Hindernissen jeder Art zur Folge, die der Meldung nach Ablauf der Handlungsfrist entgegenstehen; Wochenenden sind bei der Berechnung der Anzahl der Verspätungstage nicht herauszurechnen.

 

Orientierungssatz

1. Die sichere Kenntnis des Beendigungszeitpunktes ist zwingende Voraussetzung für die Meldeobliegenheit des § 37b SGB 3. Eine allgemeine Kenntnis des Arbeitnehmers, ihm drohe die Kündigung, reicht dagegen nicht aus.

2. Der Arbeitslose kann sich nicht darauf berufen, er habe deshalb nicht schuldhaft gezögert, weil er die Pflicht aus § 37b SGB 3 nicht kannte (vgl ua LSG Stuttgart vom 9.6.2004 - L 3 AL 1267/04). Daran ändert auch nichts die unterlassene Information des Arbeitgebers nach § 2 Abs 2 S 2 Nr 3 SGB 3.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 29.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2004 wird insoweit aufgehoben, als dass die Beklagte mehr als 13 Tage der Minderung wegen verspäteter Meldung zugrundelegt.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Minderung des Arbeitslosengeldes (Alg) wegen verspäteter Meldung.

Der Kläger wurde 1949 geboren. Er erlernte in Ungarn den Beruf des Maschinenbautechnikers und promovierte auf dem Gebiet der Staatswissenschaften. Seit 22 Jahren lebt er in Deutschland, wo er eine Umschulung zum Informatiker machte. Seit 18 Jahren arbeitete der Kläger als Informatiker, so auch vom 01.09.2000 bis zum 30.06.2004 bei der Fa. H. Mit Schreiben vom 25.03.2004 kündigte der Arbeitgeber betriebsbedingt zum 30.06.2004. Die schriftliche Kündigung erhielt der Kläger am 26.03.2004 ausgehändigt. Mit Datum vom 29.03.2004 schloss der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Abwicklungsvertrag.

Der Kläger meldete sich am 15.04.2004 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 29.04.2004 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 1.123,20 € in Höhe eines wöchentlichen Leistungssatzes von 338,24 € ab dem 01.11.2003. Sie teilte dem Kläger mit Schreiben vom 27.04.2004 mit, der Anspruch werde um 24,16 € täglich für den Zeitraum vom 01.07.2004 bis zum 11.08.2004 (insgesamt 1.000,00 €) gemindert, weil sich der Kläger spätestens am 26.03.2004 bei der Beklagten hätte arbeitsuchend melden müssen. Bereits am 25.03.2004 habe er Kenntnis von der Kündigung gehabt. Die Meldung sei daher 20 Tage zu spät erfolgt. Die Minderung betrage für jeden Tag der verspäteten Meldung 50 € und erfolge, indem der Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde.

Hiergegen legte der Kläger am 04.05.2004 Widerspruch ein. Er machte geltend, dass maßgeblicher Zeitpunkt die Aushändigung des schriftlichen Kündigungsschreiben am 26.03.2004 sein müsse. Ferner habe er dieses dann mit Datum vom 29.03.2004 an seine Beraterin bei der Beklagten per Post geschickt und um einen Beratungstermin gebeten. Er habe von seiner Beraterin dann einen Termin am 15.04.2004 erhalten. Im Abwicklungsvertrag mit seinem letzten Arbeitgeber, sei er zwar darauf hingewiesen worden, dass er Auskünfte beim Arbeitsamt einholen könne. Er habe sich dadurch aber nicht verpflichtet gesehen, sich unverzüglich arbeitslos zu melden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2004 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung verweist die Beklagte auf die §§ 37 b, 140 SGB III.

Am 02.06.2004 erhob der Kläger schriftlich Klage zum Sozialgericht Stuttgart. Zur Begründung wiederholt der Kläger die Argumente aus seinem Widerspruchsschreiben. Ergänzend führt er aus, er sei davon ausgegangen einen Termin bei der Beklagten zu benötigen. Bei seiner letzten Arbeitslosigkeit habe er einen Ausweis bekommen. Auf diesem sei vermerkt, dass man einen Termin für eine Beratung benötige. Er habe einen solchen Termin schon mit Brief vom 29.03.2004 beantragt. Er sei dann am 15.04.2004 von seiner Beraterin angerufen worden. Sie gab an, den Brief erst am selben Tag erhalten zu haben und er müsse sofort vorbeikommen. Außerdem sei bei der Berechnung die Reaktionszeit nicht berücksichtigt worden. Zwar habe er am 25.03.2004 erfahren, dass ihm gekündigt werde. Die Kündigungsfrist sei jedoch noch unklar gewesen. Der Bereichsleiter sei damals zu ihm gekommen...

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