Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs des übergewichtigen Versicherten auf Durchführung einer Magenbypass-Operation zu Lasten der Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Ein übergewichtiger Versicherter hat nach §§ 27, 39 SGB 5 Anspruch auf Versorgung mit einer bariatrisch-chirurgischen Maßnahme in Form einer Magenbypass-Operation, wenn ein Body-Mass-Index größer als 40 vorliegt und eine erhebliche Begleiterkrankung, u. a. ein Diabetes mellitus, besteht.

2. Dazu ist nicht immer erforderlich, dass der Versicherte erfolglos über einen längeren Zeitraum an einem ärztlich überwachten Therapiekonzept zur Verringerung seines Gewichts teilgenommen hat.

3. Je höher der Body-Mass-Index ist, desto schwieriger ist es, allein durch eine Umstellung der Ernährung, Bewegungs- und Psychotherapie sowie sonstige konservative Maßnahmen eine ausreichende Gewichtsreduktion in angemessener Zeit zu bewerkstelligen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2020 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine bariatrisch-chirurgische Maßnahme in Form einer Magenbypass-Operation zu gewähren.

3. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

Mit der am 13.02.2020 beim Sozialgericht Trier erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2020 begehrt die Klägerin die Gewährung einer bariatrisch-chirurgischen Maßnahme in Form einer Magenbypass-Operation.

Die 1984 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin beantragte am 08.07.2019 unter Vorlage eines Attestes von Dr. L. (MVZ der B. B. T. - aus diabetologischer Sicht Indikation zur bariatrisch-chirurgischen Maßnahme - sowie eines Arztbriefes von Prof. Dr. R./ Frau Th. (konservative Therapie/multimodales Konzept erschöpft, weder Diäten noch Bewegung hätten in der Vergangenheit Erfolge gezeitigt) die Durchführung einer Magenbypass-Operation.

Die Klägerin ist seit ihrer Kindheit stark übergewichtig und wiegt aktuell bei einer Größe von 1,67 m 146 Kg, woraus sich ein BMI von über 52 errechnet. Bei ihr besteht zudem ein Diabetes mellitus Typ 2.

Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung - MDK - teilte in Stellungnahmen vom 02.08.2019 und 09.09.2019 mit, nach dem Leitfaden des MDK könne eine Indikation für eine Magenbypass-Operation trotz der morbiden Adipositas Grad III nicht bestätigt werden. Eine Patientencompliance könne derzeit nicht abgeleitet werden, der Behandlungserfolg sei damit nicht gesichert. Auch sei nicht erkennbar, in welcher Form eine Ernährungsberatung stattgefunden habe.

Gestützt darauf lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Die Klägerin macht - wie schon im Widerspruchsverfahren - geltend, aus der vorgelegten gutachtlichen Stellungnahme des SANA-Klinikums (Prof. Dr. R.) ergebe sich die Notwendigkeit der begehrten Magenbypass-Operation.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine bariatrisch-chirurgische Maßnahme in Form einer Magenbypass-Operation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hierzu auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und legt eine weitere Stellungnahme des MDK vom 09.07.2020 vor. Danach seien - entgegen dem gerichtlichen Hinweis im Schreiben vom 17.06.2020 - die Leitlinien kein alleiniger Maßstab und die frühere Rechtsprechung des BGH und des BSG weiter beachtlich, wonach bei der Klägerin noch kein Fall einer „ultima ratio“ vorliege, da bisher noch kein multimodales Adipositas-Programm stattgefunden habe.

Zur Ergänzung des Tatbestands im Einzelnen wird auf die Prozessakte sowie die vorgelegte Beklagtenakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 90, 87 SGG) erhoben, und hat auch in der Sache Erfolg, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig.

Das Gericht konnte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist. Insoweit gelten die Vorschriften über Urteile entsprechend.

Die Klägerin hat gemäß §§ 27, 39 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung zur Therapie ihrer krankhaften Adipositas. Weil bei ihr allerdings mit der hier konkret begehrten Behandlungsmaßnahme dazu in ein an sich gesundes Organ eingegriffen werden soll, sind besondere Einschränkungen zu beachten und ist eine besondere Rechtfertigung eines solchen Eingriffs erforderlich. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R; Urteil vom 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R) muss zunächst eine gravierende, dh. krankheitswertige Adipositas vorliegen, was bei einem ...

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