Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Ruhensregelung nach § 29 Abs 2 AbgG
Orientierungssatz
§ 29 Abs 2 S 2 AbgG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (vgl LSG München vom 27.11.2014 - L 14 R 741/12, LSG Mainz vom 19.10.2016 - L 4 R 188/14 sowie LSG Essen vom 8.2.2019 - L 14 R 728/18).
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Sprungrevision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit eines Abschlags von 50 % von der laufenden Regelaltersrente des Klägers.
Der 1954 geborene Kläger ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB). Bei der Bundestagswahl 2021 wurde er erneut in den Deutschen Bundestag gewählt.
Auf seinen Antrag hin hat ihm die Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 2020 Regelaltersrente mit Rentenbeginn 1. November 2019 gewährt. Dabei hat die Beklagte den Zahlungsanspruch des Klägers gemäß § 29 Abs. 2 Satz 2 Abgeordnetengesetz (AbgG) in Höhe von 50 % zum Ruhen gebracht.
Der Kläger hatte gegen den ursprünglichen Rentenbescheid bereits am 16. Juni 2020 Widerspruch eingelegt.
Da die Beklagte unzutreffend von einer Pflichtversicherung des Klägers in der Kranken- und Pflegeversicherung ausgegangen war, hat die Beklagte den Rentenbescheid vom 19. Mai 2020 mit weiterem Rentenbescheid vom 22. Juni 2020 im Ergebnis zurückgenommen und die Rente nunmehr mit Zuschuss zur freiwilligen Versicherung des Klägers in der Krankenversicherung gewährt. Der nach § 29 AbgG vorgenommene Abschlag wurde indes beibehalten und auch im Rentenanpassungsbescheid vom 1. Juli 2020 (hier dann in korrigierter Höhe) fortgeführt. In diesem Bescheid hat die Beklagte die bisherigen Bescheide vom 19. Mai 2020 und vom 22. Juni 2020 hinsichtlich der Rentenhöhe und der Höhe des Zuschusses zur Krankenversicherung ab dem 1. Juli 2020 für gegenstandslos erklärt. Die Bescheide vom 22. Juni 2020 und vom 1. Juli 2020 wurden Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.
Zur Begründung des Widerspruchs ließ der Kläger ausführen, wie sich aus der Abhandlung der Frau Prof. Dr. S. S. mit dem Titel „Ist die Anrechnung von Altersrenten gemäß § 29 AbgeordnetenG auf die Entschädigung von Abgeordneten verfassungskonform?“ (ZParl 2017, 186ff.) ergebe, sei im Hinblick auf den Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche keine Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden gesetzlichen Regelung gegeben. Weiter ließ der Kläger vortragen, mehrere Landessozialgerichte hätten sich zwar zulasten der dort klagenden (ehemaligen) Abgeordneten positioniert, eine höchstrichterliche Klärung sei aber bislang nicht erfolgt. Dem Kläger sei die Gesetzesgebundenheit der Beklagten klar, die Sache solle aber höchstrichterlich bzw. verfassungsrechtlich geklärt werden.
Die Beklagte hat den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2021 als unbegründet zurückgewiesen. Sie habe im vorliegenden Fall das geltende Recht zutreffend umgesetzt. Der 50 % übersteigende Rentenbetrag ruhe nach § 29 Abs. 2 AbgG, solange der Kläger ein Abgeordnetenmandat des Deutschen Bundestags innehabe. Die Beklagte habe keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG und sei als Exekutivorgan zur Anwendung geltenden Rechts grundgesetzlich verpflichtet, Art 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG).
Hiergegen richtet sich die Klage vom 16. Februar 2021, die der Kläger am selben Tage zum Sozialgericht Würzburg (SG) hat erheben lassen. Frau Prof. Dr. S. führe in ihrem oben zitierten Aufsatz fünf Gründe an, weshalb ein Eingriff in die von Art. 14 GG geschützten gesetzlichen Rentenanwartschaften des Klägers durch § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG nicht verfassungsgemäß sei. So sei die hälftige Kürzung von Altersrenten aufgrund der überschaubaren Anzahl an Betroffenen im Bundestag weder geeignet noch erforderlich, um die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten oder zu verbessern, zudem sei anzuzweifeln, dass die Rentenkürzung im engeren Sinne verhältnismäßig sei, weil die Anspruchsberechtigten übermäßig und gleichheitsrechtswidrig unzumutbar belastet würden, weiterhin bestünden umgekehrt verfassungsmäßige Bedenken gegenüber der ungleichen Behandlung von Rentenansprüchen eines MdB im Verhältnis zu Rentenansprüchen anderer Berufstätiger, die ungeachtet ihres Anspruchs auf Regelaltersrente berufliche Zuverdienste hätten, auch sei eine Überversorgung oder unzulässige Privilegierung der MdBs auch dann nicht zu erkennen, wenn keine Anrechnung der Regelaltersrentenansprüche erfolgte, und schließlich seien derart weitreichende Anrechnungsvorschriften geeignet, beruflich Erfolgreiche faktisch von einer Mandatsbewerbung abzuhalten. Auch gebe es keinen sachlichen Differenzierungsgrund, weshalb nur Rentenansprüche durch § 29 AbgG eine Kürzung erfahren würden, nicht aber andere...