Leitsatz
Der Insolvenzverwalter einer deutschen GmbH focht eine Zahlung über 50.000 EUR an, die nur 2 ½ Monate vor Stellung des Insolvenzantrags von der GmbH an die in Belgien ansässige Beklagte geleistet worden war.
Das Landgericht Marburg am Sitz der insolventen Gesellschaft, bei dem der Insolvenzverwalter die Klage auf Rückzahlung der 50.000 EUR gegen die belgische Gesellschaft eingereicht hatte, erklärte sich für unzuständig und wies die Klage ab. Das OLG Frankfurt a.M. folgte dieser Entscheidung in der 2. Instanz, was damit begründet wurde, dass die (nach Ansicht von LG und OLG einschlägige) EuGVVO (EU-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) einen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft nicht begründe.
Der BGH hat die hoch umstrittene Frage dem EuGH zur Klärung vorgelegt, ob Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters
- unter die Regelung der EuInsVO (EU-Verordnung über Insolvenzverfahren) fallen und damit regelmäßig eine Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft begründet wird oder
- unter die Regelung der EuGVVO fallen und damit wohl keine Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft begründet wird oder aber
- weder die EuInsVO noch die EuGVVO einschlägig sind und sich die Zuständigkeit nach nationalem Recht richtet.
Hinweis
Die Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) gehört zu nahezu jedem Insolvenzverfahren. Insbesondere Zahlungen, die zu Lasten der insolventen Gesellschaft innerhalb der letzten 3 Monate vor oder nach Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Zahlungen, die zu Gunsten von Gesellschaftern der nunmehr insolventen Gesellschaft geleistet wurden, werden angefochten, d.h. vom Insolvenzverwalter zurückgefordert. Die Anfechtung von Zahlungen an die Gesellschafter betrifft häufig Rückzahlungen auf Darlehen, die der Gesellschafter der Gesellschaft gewährt hatte - angesichts der drohenden Insolvenz wird von den Gesellschaftern regelmäßig versucht, wenigstens diesen Teil des eingesetzten Geldes zurückzuerlangen. Damit führt die Anfechtung des Insolvenzverwalters häufig in eines der schwierigsten Probleme des deutschen Gesellschaftsrechts - das Eigenkapitalersatzrecht (§§ 32 a/b GmbHG), denn nur Rückzahlungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen sind anfechtbar.
Die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters hängen dabei erheblich vom zuständigen Gericht ab. Ist es schon für deutsche Juristen schwierig genug, die Verästelungen des von der Rechtsprechung entwickelten Eigenkapitalersatzrechts nachzuvollziehen, dürfte der Versuch, dies einem ausländischen Richter (sei es auch innerhalb der EU) nahezubringen, kaum erfolgreich sein. In jedem Fall sind Übersetzungs- und Gutachtenkosten (zur Darlegung des deutschen Rechts) in erheblichem Umfang aus der vorhandenen Masse vorzustrecken, die nur im Erfolgsfall ganz oder teilweise erstattet werden. Es ist daher verständlich, dass der Insolvenzverwalter im vorliegenden Fall beim Landgericht am Sitz der insolventen Gesellschaft in Marburg Klage eingereicht hat.
Die Entscheidung des EuGH wird mit Spannung erwartet, haben er und ihm folgend der BGH doch bislang nur zur Vorgängerregelung der EuGVVO (dem EuGVÜ) entschieden, dass Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters nicht hierunter fallen, sondern auf nationales Recht abzustellen ist. Eine höchstrichterliche Stellungnahme zu der aus dem Jahr 2000 stammenden Regelung der EuInsVO fehlt bislang vollständig.
Angesichts der hinter der Insolvenzanfechtung stehenden Probleme des materiellen Rechts (häufig des nationalen Gesellschaftsrechts) erscheint es sachlich gerechtfertigt, die Klage am Sitz der insolventen Gesellschaft und damit in Deutschland zuzulassen. Für die ausländischen Beklagten entsteht kein besonderer Nachteil, wurden sie durch die angefochtenen Zahlungen gegenüber und zu Lasten der übrigen Insolvenzgläubiger doch bevorzugt und haben sie sich durch Vertragsabschluss mit der insolventen Gesellschaft freiwillig in die Sphäre des deutschen Rechts begeben.
Wollte man wie das LG und OLG die Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Gesellschaft ablehnen, müssten komplizierte Fragen des deutschen (Gesellschafts-)Rechts zukünftig von ausländischen Gerichten entschieden werden. Die Folgen wären klar: Die Finanzierung deutscher GmbHs würde über zwischengeschaltete ausländische Gesellschaften (z.B. eine Ltd.) erfolgen, denn bei absehbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten würden die Rückzahlungen der gewährten Darlehen an diese ausländischen Gesellschaften erfolgen. Der Insolvenzverwalter müsste diese dann an ihrem Sitz auf Rückerstattung der rechtswidrig erhaltenen Zahlungen verklagen und ausländischen Richtern den Anspruch nach dem materiell einschlägigen deutschen Recht erläutern. Dies würde zu erheblichen Mehrkosten führen, die aus der ohnehin oft schmalen Masse kaum vorzustrecken sind. Angesichts dessen sowie des unbekannten ausländischen Prozessrechts, einer ggf. längeren Verfahrensdauer und höherer Anwaltsk...