Leitsatz

  1. Wucherähnlich sittenwidriger Kauf einer Eigentumswohnung führt zur Nichtigkeit des schuldrechtlichen Kaufvertrags
  2. In einem solchen Fall besitzt der Verkäufer bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Herausgabe (inhaltlich auf Zurückübertragung durch Rückauflassung der verkauften Wohnung und Bewilligung der Eigentumsumschreibung durch den Käufer Zug um Zug gegen Zahlung des erhaltenen Kaufpreises)
  3. Zur Abgrenzung der Absätze 1 und 2 des § 138 BGB
 

Normenkette

§§ 138 Abs. 1 und 2, 812 Abs. 1, 818 Abs. 1, 894, 985 BGB

 

Kommentar

  1. Der teilende Verkäufer (Kläger) hatte 1995 an den Käufer (Beklagten) eine Wohnung für 80.000 DM verkauft und aufgelassen. Der tatsächliche Verkehrswert der Wohnung lag bei etwa 154.000 DM. Vom Käufer wurden nach kaufvertraglichem Zahlungsplan 45.000 DM bezahlt; ein Restbetrag von 35.000 DM sollte erst nach gänzlicher oder teilweiser Fertigstellung zusätzlich vereinbarter Erneuerungsmaßnahmen an Dach und Heizung gezahlt werden; vereinbart war insoweit, dass die Investitionskosten hierfür von Verkäufer und Käufer zu gleichen Teilen zu tragen seien; die Sanierungsmaßnahmen wurden allerdings nie in Angriff genommen.

    Der eingeklagte Herausgabeanspruch des Verkäufers hatte letztlich Erfolg.

  2. Auf § 138 Abs. 2 BGB konnte der Anspruch nicht gestützt werden. Bei Bejahung der Tatbestandsmerkmale dieser Gesetzesbestimmung würde sich allerdings die Nichtigkeit sowohl auf das vertragliche Grundgeschäft als auch auf das Erfüllungsgeschäft erstrecken (verfestigte Rechtsprechung des Senats); das Gesetz erklärt nämlich auch die vom Bewucherten gewährte Leistung für nichtig. Allerdings setzt die Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (objektives Tatbestandsmerkmal), daneben auch die Ausnutzung einer – auf einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, dem Mangel im Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche beruhenden – besonderen Schwächesituation beim Bewucherten durch den Wucherer voraus (subjektives Tatbestandsmerkmal, vgl. Senat, NJW 1985 S. 3006, 3007). Insoweit ist zwar keine Ausbeutungsabsicht des Wucherers erforderlich, wohl aber ist es notwendig, dass der Wucherer Kenntnis von dem auffälligen Missverhältnis und der Ausbeutungssituation hat und sich diese Situation vorsätzlich zunutze macht. Hier sind strenge Anforderungen an die für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands zu treffenden Feststellungen zu stellen (ebenfalls verfestigte BGH-Rechtsprechung).

    Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts kann sich aus dem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des begünstigten Vertragsteils auf den Ausbeutungsvorsatz des Wucherers übertragen lassen. Ein Ausbeutungsvorsatz kann demnach nicht bejaht werden, wenn das Leistungsmissverhältnis dem davon profitierenden Vertragsteil unbekannt war. Auch ist es nicht richtig, aus einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung auf einen Ausbeutungsvorsatz zu schließen. Das Äquivalenzmissverhältnis allein ist keine tragfähige Grundlage für die Vermutung eines Willens zur vorsätzlichen Ausbeutung einer Schwäche des benachteiligten Vertragsteils.

  3. Vorliegend hatte allerdings die Klage nach § 138 Abs. 1 BGB Erfolg und führte zur Nichtigkeit des Kaufvertrags. Ein wucherähnliches Rechtsgeschäft ist nach dieser Bestimmung sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des Vertragspartners bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Hier erlaubt es das Äquivalenzprinzip, auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu schließen; es besteht nämlich die tatsächliche Vermutung aus Erfahrungsgrundsätzen, dass i.d.R. außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not und nicht ohne einen anderen den Benachteiligenden hemmenden Notstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt (vgl. auch zuletzt BGH v. 5.3.2010, V ZR 60/09, MittBayNot 2010 S. 306, 307).

    Von einem solchen groben Missverhältnis der Leistungspflichten war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vorliegend auszugehen. Lag der Verkehrswert bei etwa 154.000 DM, musste dieser in das Verhältnis des vereinbarten Kaufpreises von 80.000 DM gesetzt werden (nach objektiven Leistungswerten). Die gegenseitigen Leistungen sind nach den vertraglichen Vereinbarungen zu bemessen und nicht danach, was sich die Parteien nachfolgend einander gewährt haben. Die Wertdifferenz stellt hier ein grobes Missverhältnis dar, was den ...

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