Leitsatz
Der Erblasser hatte ein Testament zu Gunsten seiner behinderten Tochter errichtet, um sicherzustellen, dass dieser neben Unterkunftsleistungen nach dem BSHG weitere Vorteile aus dem - relativ geringen - Nachlassvermögen zufließen. Der BGH hat das Testament vor dem Hintergrund der elterlichen Verantwortung für das Wohl des Kindes nicht als sittenwidrig, sondern als Vorsorgemaßnahme für das behinderte Kind eingestuft.
Sachverhalt
Der 77-jährige Erblasser pflegte seine geistig schwer behinderte Tochter, bis er sie kurz vor seinem Tod in einer Wohngruppe eines Vereins zur Förderung und Betreuung spastisch Gelähmter unterbrachte. Mit notariellem Testament setzte er seine Tochter als befreite Vorerbin und die Beklagte, eine Tochtergesellschaft des Vereins, als Nacherbin ein. Einen Anspruch auf Auskehrung des Nachlasses hatte die Tochter nach dem Testament nicht. Weiterhin bestimmte er die Beklagte zum Dauertestamentsvollstrecker und ordnete an, dass sich diese um eine angemessene Unterbringung und Betreuung der Tochter unter Heranziehung des Sozialhilfeträgers zu bemühen hat, der Nachlass möglichst erhalten bleiben soll und der Tochter die Früchte zufließen sollten. Die Beklagte sollte ferner verhindern, dass ein Vormund oder Pfleger unter Ausschlagung der Erbschaft den Pflichtteil für die Tochter verlangt. Bei Erbausschlagung durch die Tochter sollte der Rest des Nachlasses sofort an den Nacherben fallen.
Die klagende Stadt hat Unterbringungskosten für die Tochter des Erblassers zu tragen und hat den angeblichen Anspruch der Erbin auf Herausgabe "des durch das Testament Erlangten" durch Bescheid gemäß § 90 BSHG auf sich übergeleitet. Sie hält das Testament für sittenwidrig und wirft der Beklagten vor, den Träger der Sozialhilfe zu schädigen und unter Umgehung des Nachrangprinzips ein Mustertestament entwickelt zu haben, wonach die beträchtlichen Unterbringungskosten der Behinderten nach dem Tode - auch vermögender - Eltern vollständig zu Lasten der öffentlichen Sozialhilfe gingen.
Entscheidung
Die Überleitung nach § 90 BSHG geht ins Leere, da das Testament wirksam ist. Es ist - jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Eintritts des Nacherbfalls - rechtlich unbedenklich, den Nacherben zum Testamentsvollstrecker zu ernennen. Der befreite Vorerbe darf darüber hinaus grundsätzlich im Gegensatz zum nicht befreiten Vorerben auch auf die Substanz der Erbschaft zugreifen. Der Erblasser hat hier dem Testamentsvollstrecker durch die Regelung, den Nachlass "möglichst" zu erhalten, einen Spielraum verschafft, notfalls auch die Substanz anzugreifen, falls dies im Interesse der Unterbringung der Erbin einmal erforderlich werden sollte.
Das Testament ist schließlich auch nicht wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, da kein besonders hervorstechender Ausnahmefall der Zurücksetzung nächster Angehörigen durch die testamentarischen Anordnungen vorliegt, der Erblasser seine Tochter bis zu seinem Tode persönlich gepflegt und betreut hat und von der Möglichkeit frühzeitigerer Heimunterbringung kein Gebrauch gemacht wurde, obwohl die beträchtlichen Kosten hierfür bereits zu Lasten der Sozialhilfe gegangen wären.
Auch die Einsetzung der Beklagten zur Nacherbin ist nicht sittenwidrig, da ihre Einrichtung staatlich gefördert wird. Das Testament ist auch nicht deshalb anstößig, weil die Klägerin keine Möglichkeit hat, ihren Überleitungsanspruch gegenüber der Erbin geltend zu machen und auf den relativ bescheidenen Nachlass zuzugreifen. Auch können die Grundsätze zur Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts bei geschiedenen Ehegatten nicht auf diese Fallkonstellation übertragen werden, da der hilfsbedürftige Behinderte seinen Unterhaltsanspruch nicht selbst aufgegeben hat.
Zwar bedarf das Subsidiaritätsprinzip staatlicher Leistungen immer besonderer Beachtung. Es wäre jedoch von Eltern zuviel verlangt, ihre sittliche Verantwortung für das Kindeswohl dem Interesse der öffentlichen Hand an der Kostendeckung unterzuordnen. Werden den Eltern die Grenzen der staatlichen Leistungsfähigkeit vor Augen gehalten, dann sind diese erst recht motiviert, für den Fall Vorsorge zu betreiben, dass die öffentlichen Leistungen für Behinderte nicht auf dem erreichten hohen Stand gehalten werden können. Das Subsidiaritätsprinzip ist ohnehin in erheblichem Maße durchbrochen, da Regressansprüche gegenüber Verwandten teilweise nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig sind.
Solange die angeordnete Dauertestamentsvollstreckung besteht, könnte sich die Klägerin selbst dann nicht an den Nachlass halten, wenn sie als Nacherbin eingesetzt worden wäre. Diese testamentarischen Beschränkungen müssen Erben und auch ihre Gläubiger grundsätzlich hinnehmen. Die Vorschrift des § 14 Abs.1 HeimG - Verbot des Versprechens oder Gewährens weiterer Vermögensvorteile - greift hier nicht ein, da die Beklagte nicht die Trägerin des Heimes ist.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 21.03.1990, IV ZR 169/89