Rz. 38a
Der durch Beschluss des 14. Ausschusses durch das Masernschutzgesetz (Rz. 12l) neu eingefügte Abs. 1b erlaubt es Vertragsärzten, für Versicherte, die eine kontinuierliche Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel benötigen, Verordnungen auszustellen, nach denen eine nach der Erstabgabe bis zu dreimal wiederholende Abgabe erlaubt ist. Die Regelung soll insbesondere für chronisch kranke Patienten in stabilem Gesundheitszustand, die mit einer gleichbleibenden Medikation mit für eine Wiederholungsverschreibung geeigneten Wirkstoffen (Dauertherapie) versorgt werden, in Betracht kommen (amtl. Begründung in BT-Drs 19/15164 S. 60).
Die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft haben sich in einer Stellungnahme im Gesetzgebungsverfahren vehement gegen diese Regelung ausgesprochen (https://www.akdae.de/Stellungnahmen/BMG/20190507.pdf). Das Wiederholungsrezept habe zur Folge, dass Patienten mit einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr keiner ärztlichen Überwachung unterliegen würden. Während dieses Zeitraums könnten sich häufig Änderung der Medikation an anderer Stelle (z. B. durch einen anderen Arzt oder eine stationäre Behandlung) ergeben, die eine Änderung der Verordnung erforderlich machten. Dazu hätte der Vertragsarzt keine Möglichkeit mehr, wenn ein Wiederholungsrezept dem Patienten bereits vorliege. Die notwendige Kontrolle werde damit der Apotheke übertragen, die diese aber aufgrund fehlender Informationen nicht ausüben könne.
Dieser im Ansatz durchaus nachvollziehbaren Kritik ist der Gesetzgeber in der amtlichen Begründung der Norm (nur) mit dem Argument entgegengetreten, die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt müsse im Einzelfall beurteilen, ob eine entsprechende Verordnung von Arzneimitteln bei einer Patientin oder einem Patienten infrage komme. Zwar dürfte sich die Neuregelung sowohl für Patienten als auch für Ärzte zeit- und arbeitssparend auswirken, gleichwohl bleibt abzuwarten, ob sie in der Praxis tatsächlich sinnvoll ist. Dies umso mehr, als nach verschiedenen Leitlinien medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften die Empfehlung ausgegeben wird, Patienten mit chronischen Erkrankungen sollten regelmäßig fachärztlich kontrolliert werden. Dafür dürfte der Abstand von mehr als einem Jahr zu groß sein.
Rz. 38b
Nicht in Betracht kommen für eine Verordnung nach Maßgabe von Abs. 1b dürften Patienten, die an einer schwerwiegenden chronischen Krankheit leiden. Das sind nach § 62 Abs. 1 Satz 8 in Verbindung mit der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte ("Chroniker-Richtlinie", https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1530/RL-Chroniker_2017-11-17.pdf) Personen, bei denen
- eine Pflegebedürftigkeit des Pflegegrades 3, 4 oder 5 nach dem 2. Kapitel SGB XI vorliegt oder
- ein Grad der Behinderung (GdB) oder ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60 oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 60 % vorliegt oder
- eine kontinuierliche medizinische Versorgung erforderlich ist, ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die aufgrund der Krankheit verursachte Gesundheitsstörungen zu erwarten ist.
Rz. 38c
Die Verordnungen sind entsprechend als Verordnung zur wiederholten Abgabe zu kennzeichnen (Satz 2). Dieser Vorgabe folgend ist in § 2 Nr. 6a Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) eine entsprechende Pflichtangabe auf dem Rezept vorgesehen. Nach § 4 Abs. 3 AMVV ist das verschriebene Arzneimittel bei der wiederholten Abgabe auf dieselbe Verschreibung jeweils in derselben Packungsgröße abzugeben, die die Ärztin oder der Arzt für die erstmalige Abgabe auf der Verschreibung angegeben hat. Nach Satz 3 dürfen sie bis zu einem Jahr nach Ausstellungsdatum zulasten der gesetzlichen Krankenkassen durch Apotheken beliefert werden.